Lind "Systematic Regulations Part II - The Glass House Theory" (UNformatted Records 2013)

Mit Schizofrantik und Panzerballett arbeitet(e) er, in Fake Never Fades und Freaky Fukin Weirdoz ist er aktiv gewesen, und sein eigenes, ursprüngliches Projekt ist Lind. Andy Lind ist nicht hyperaktiv, was Komponieren, Entwickeln und Produzieren von Songs und Alben betrifft. Seit "Profoundly Felt Reality", seinem letzten Album, sind 5 Jahre vergangen. Seine ganze Hyperaktivität hat er in sein neues Werk gesteckt: "Systematic Regulations Part II", 78:10 Minuten und 19 Songs stark, ist wie sein Vorgänger ein brachiales Unterfangen, in dem gefährliche Ruhe und ekstatischer Energieausbruch, Hardcore- und melodischer Gesang, disharmonische Jazzläufe und Jazzmetal mit schweren Riffmonstern Energiebalancen austesten und freie Radikale entwickeln.
Andy Lind selbst spielt Schlagzeug, Keyboards und Bass und hat sämtlichen Gesang absolviert, der am ehesten noch an brutal-stupiden Hardcore-Metal erinnert, wie er in den frühen 90ern von zahllosen Bands eingespielt wurde, gleichzeitig aber auch die Energie der teils enorm dramatischen Tracks aufputscht und ein großes Stück für die emotional wilde Gefährlichkeit steht, die in der langen Spielzeit wie ein Kriegsfilm, düstere Action oder Horror wirkt und technisch erstklassig gelungen ist. Die Gitarrenparts teilten sich der online erstaunlich harmlos wirkende Martin Kursawe, der auf eine beachtliche Diskographie zurückblicken kann, sowie Mr. Plastiklanghaar und Tanzpanzerspezialist Jan Zehrfeld himself, wobei ich kaum sagen kann, wer von beiden die bessere Arbeit abliefert, und großartige Arbeit leisteten Beide; Jazz, Funk und Riffgewitter schütteln die Gitarristen illuster aus dem Handgelenk. Als weitere Gäste sind der gut beschäftigte, überwiegend Big Band Jazz spielende Axel Kühn (Saxophon, Bass-Klarinette), sowie die beiden weiteren Gitarristen Gil Øfarim (der auch als Schauspieler arbeitet) und David Riemann im Booklet aufgeführt.
Bringt euren Großmüttern den Kaffee in die Stube und schließt alle Türen. Versucht, bei ordentlich aufgedrehter Lautstärke durchzuhalten und genießt diesen Sturm schwer nervöser Jazz Math Metal Arbeit, in der das Schlagzeug wie ein Maschinengewehr pausenlos Feuer gibt, in vertrackten Takten, mit steten Breaks, technisch exzellenten Virtuosgewittern, in denen kaum ein Song nur in einfacher Struktur durchläuft - der stete thematische, harmonisch-melodische und rhythmische Bruch in allen Songs ist beispielgebend, so extrem und hart sind Panzerballett längst nicht, zuerst fallen mir (wie gehabt) Dillinger Escape Plan oder Meshuggah als Vergleich ein, indes haben die jeweils anderen Charakter und Andy Lind hat kein Interesse, sich einem vorgegebenen Muster oder Stil zu ergeben, viel zu energisch und eigenwillig sind seine Ideen, als dass sie sich in ein anderes als sein eigenes Schema entwickeln ließen. Was Stimmen, Keyboards (zumeist eher unterschwellig beziehungsweise weniger im Vordergrund markant), Gitarrenriffs, melodische (überwiegend jazztriefende, aber auch schon mal poppige) Gitarrenarbeit und natürlich vor allem Schlagzeug (hier und da elektronisch verspielt angefüttert, die Songs attraktiver und erlebnisreicher aufzubauen) in den Songs gemeinsam anstellen, ist ein Abenteuerritt mit pausenlos und immerwährend neuen, ungewöhnlichen Ideen, in denen aus extremer und knalllauter Metalhärte Electronics aufpulsen, ein Alternative oder Pop Thema liedhaft abläuft und scheinbare Lyrik still und harmonisch wirkt, doch im Untergrund bauen Basstöne schon wieder den Unruheherd, aus der die Lautstärke wieder vollständig aufsteigt und das illustre Gewitter neu hochfährt. In sanftmütige Lichtungen kann "Systematic Regulations Part II - The Glass House Theory" stetig fallen, und selbst einige harte Passagen sind erstaunlich mild, zumindest im gesamten Umfeld. Und wie tief die elektronische Stille und basslastige, Industrial-nahe und Filmmusik-artige Passagen wirken, zeigt sich, wenn die Band wieder voll einsteigt und das wohl geordnete Chaos seinen erneuten, rhythmisch stetig gebrochenen Ausgang nimmt. Die energische Unruhe und die Ruhe-Oasen sind exzellente Gegenpole, die insgesamte Nervosität und die rasante Brachiallandschaft über emotionale Berg- und Tallandschaften zu führen. Sehr schön sind die Jazzpassagen, in denen Metal nur stückweise eingebracht ist und Jazzrock/Fusion einen in diesem Umfeld überhaupt nicht befremdenden, hinreißenden Eindruck macht (und Panzerballett in die Gedanken rückt), so dass gar ein Gitarrensolo im Stil von Allan Holdsworth seinen Platz hat, großartige Idee, perfekt!!!
Und da ist die Story noch nicht erzählt, die im Gesang so kaum nachvollzogen, dafür im Booklet nachgelesen werden kann ("I try to understand the human psyche…", "…watch myself…", "I'm standing here on this stoney ground…". Obschon der Eindruck der Texte im Eindruck der Musik wohl nachrangig ist, ist dies der Inhalt der Texte kaum. Die Düsternis des musikalischen Inhalts findet sich in den Texten wieder, die emotional dunkle Aussagen und Ansichten transportieren, die in "…this cold time…" aufkommen. Die Aggressivität des Hardcore-Schreigesangs hat seine bedrohliche Wirkung, nicht weniger eindrücklich sind indes einige harmonische Gesänge, die in horrorartiger Jazz-Schräglage angelegt sind und dem Hörsinn mit Lust Gewalt antun ("I promise you space"). Gewöhnlich ist anders.
"Systematic Regulations Part II - The Glass House Theory" wird in seiner extremen Ausprägung seine darauf hungrigen Freunde finden.
Avant Jazz Metal in bedrückend erlesener Qualität ist selten so umfassend, vielschichtig, vielseitig und erschütternd grandios zu finden.
Vorsicht vor dem Tipp!
Dann könnt ihr die Großmutter wieder aufsuchen und vom spannenden Zeitvertreib berichten

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