YES "Live at Montreux 2003" (Eagle Vision, VÖ: 20.04.2007)

Konzertanter Edelrock - das meinte der Freund meiner Söhne, als ich ihn fragte, wie er so etwas nennen würde und fand die Antwort erstaunlich. Er schaute etwas verwirrt und hängte seiner Antwort ein Fragezeichen an, setzte sich zu mir auf das Sofa und sah "Awaken" in voller 20-minütiger Länge und war beeindruckt. "Hammer - ist das geil!" sein Kommentar danach…
"Live at Montreux 2003" ist, das muss nicht extra erwähnt werden, exzellent aufgenommen und gemixt, Bild und Ton sind erstklassig, am beeindruckendsten DTS Digital Surround Sound, welches Erlebnis! Gäbe es Yessongs in dieser grandiosen Qualität - na ja, Träume! Robert Fripp, Kopf von King Crimson, der sich in den Booklets der King Crimson Reissues hin und wieder über Progressive Rock auslässt, meint, es habe vier große Bands gegeben: King Crimson, ELP, Genesis und YES. YES sind die wohl bedeutendste und erfolgreichste dieser vier, es gab tiefe Krisen und regelrechte Bandschlachten und doch stand das "klassische" Line-Up am 14.07.2003 in Montreux auf der Bühne des Jazzfestivals. Jon Anderson (voc), Steve Howe (g), Chris Squire (b), Rick Wakeman (keys) und Alan White (dr), Restlanghaare umwehen die gealterten Gesichter, erstaunlich fit wirken die Männer, mal abgesehen von Rick Wakeman, der etwas gequält und erschöpft aussieht, geben sich alle Mühe und zaubern ein technisches Meisterstückchen zusammen, nur: auch wenn, wie sie selbst meinen, als Musiker mit den Jahren technisch immer besser geworden sind, klingt vieles, was sie hier spielen sentimental, pappig, light. Sie wissen, die "Show" zu geben, sind geübte Handwerker und Entertainer, die langjährige Bühnenerfahrung und das gereifte Alter haben sie sicher und routiniert gemacht. Doch so klingen die Songs auch: routiniert. Die Gitarrensoli haben keine Lebendigkeit und sind Meilen von der früheren Härte entfernt, alles ist in einen kuscheligen Nebel aus softer Klangschönheit verpackt. Manche der Sounds, die Rick Wakeman auspackt, sind in ihrer kitschigen Blumigkeit kaum zu ertragen und selbst Chris Squires typisches Basssolo in "The Fish", heute länger als je zuvor, ist kein Stück wild und unbeherrscht, sondern ausgeklügelt, bombastisch, füllig und matt. Einzig Alan White lässt es gut krachen, wenn auch längst nicht so organisch und virtuos wie einst.
Dennoch, nicht nur die Songauswahl, die wenig junges Zeug und viele der grandiosen Klassiker auflistet, sondern auch die Arrangements, wenn auch weniger hart und wild, klingen überraschend anziehend. Hier und dort wirken die Männer, vor allem Jon Anderson, wie er über die Bühne hüpft, jungenhaft in seinem Fitness-Dress, zwar konzentriert und ernst, aber doch irgendwie froh und die Bühne genießend - eine gewisse Entspanntheit strahlt die Bühne aus, trotz Routine und Konzentration lebt die Musik. Spätestens bei "Awaken" verliert sich jede Kritik (wenn Rick Wakeman auch gerade hier kurz mal in bitterseichte Buttersounds verfällt), es gilt, diese alten, guten Sounds aufzusaugen, noch einmal.
YES spielen "South Side Of The Sky" und "To Be Over", ansonsten schaut viel Yessongs über die Schulter, weniger Yesshows, die drei modernen Stücke, die zu Anfang gespielt werden, können geskippt werden - gemischter, aber guter Eindruck, sich die DVD anzusehen. Die vielen Kameras haben die Band gut eingefangen, wenn Chris Squire auch selten im Blickfeld ist, der Mix der Bilder kann Schule machen - YES sparen gewiss kein Stück bei solchen Produktionen. Als Vergleich habe ich nach der DVD mit dem erstaunlich schlichten Roger Dean Cover kurz mal in "9012Live" reingeschaut und wiederholt festgestellt, wie grässlich die 80er Jahre klangen, dieses Diskoschlagzeug, die ekligen Klamotten und Frisuren! Bäh! Dagegen wirken Yes 2003 organischer, ehrlicher, wirklicher, sie spielen wieder echte Instrumente und nehmen den "Ursound" der Band auf die Tagesordnung - danke.
Yessongs wird es niemals in dieser Form geben, mit diesen perfekten Bildern, diesem gewaltigen Klangeindruck. Die Qualität des Videos ist schlimm, der Sound ein muffliger Brei. Die beste Restauration kann da nichts bringen. Insofern mag die LP Yessongs als YES bestes Live-LP (und vielleicht als ihr überhaupt bestes Werk) gelten, als bestes Video kommen die 137 Konzertminuten auf "Live at Montreux 2003" nach ganz vorn in die Rankingliste.

yesworld.com
VM



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