Wobbler "Rites At Dawn" (Termo Records, VÖ: 16.05.2011)

Wobbler haben einen neuen Schatz an der Angel, die Nummer drei der norwegischen Symphonic Progrocker. Macht mit dem ersten Ton einen sehr guten, feinen Eindruck. Was Inspiration, ist auf LP spätestens 1974 veröffentlicht worden, frühestens 1969. "Lucid" (1:40) zu Beginn der CD möchte fast als Opener eines frühen Yes-Livealbums beginnen, der Track baut seinen Rausch auf, mittendrin klingt es jedoch wieder ab, was bleibt, ist der Name Yes, und der steht an Alpha bis Omega in der DNA der neuen Platte. "Rites At Dawn" - kann nur unbedingt als LP veröffentlicht werden müssen - hat drei erste und vier zweite Tracks und ist ein feines Stück Musik, dessen Gesamtansicht wie Einzelteilerforschung für Genussgrinsen bei den progressiven Altsozialisierten und nie die Anhöhe der hohen Kultur verlassen Habenden sorgen wird. Kristian Hultgrens Rickenbacker macht den berauschenden Rückenschauer im Squire-Geiste, Morten Andreas Eriksen's Gitarre hat den Steve Howe - Spieltechniksegen, Lars Fredrik Frøislies Keyboardspiel ist vom Biertrinker und Steakesser gleicher Combo besessen, Martin Nordrum Kneppens Schlagzeugspiel - echt! - nicht wenig von Alan Weiß inspiriert. Allein was Andreas Strømman Presto singt, kann nicht ganz Yes sein, die Gesangslinien aber und die Chorgesänge - nichts anderes als eben dies. Wobbler sind die neuen alten Yes. But - nur in der Inspiration, der Schule, dem Stil, dem Vorbild; die Kompositionen sind gar und ganz die ihren eigenen. Und gewiss sind da noch ein paar weitere perfetto altprogressive Vorbilder zu hören, immer mal wieder, eingestreut; Folkiges, Symphonisches, Synthesizer-Soli, lyrische Passagen - kein weiterer Einfluss ist jedoch so dominant, prägend und jederzeit gut zu erkennen wie der soeben genannte.
Musik hat kein Ende, symphonischer Progressive Rock alter Schule also nicht. Was die beiden Gäste Hanne Rekdal (Fagott) und Ketil Einarsen (Flöte) beitragen, ergänzt den reichhaltigen Klang wohl erdacht fein gespielt. Nun: wer Retro hasst, darf Holz hacken und Kartoffeln pflanzen, hier aber nix zuhören. Wobbler sind retro? Eher echter alter Sound. Sie schauen nicht zurück, sondern holen altes Equipment und das Vorbildwesen in ihre heutige Norwegenurwaldzeit. Nach dem Opener folgt "Lá Bealtaine" (7:52), der erste fette, stets von Mellotron-Sounds durchflutete und wundersam harmonisch geprägte Track braucht eigentlich nicht mehr aufzuhören. Doch dann folgt "In Orbit" (12:30), der hohe Yes-Faktor bringt den feinsten Chorgesang der letzten Prog-Jahre mit sich, akustische, elektrische und symphonische Arrangements wechseln sich ab, ergänzen sich, umspielen und bekämpfen sich, hört es euch nur unbedingt an.
Wobbler werden nie besonders hart, Crimsoneskes wird nur gestreift, die anderen großen Briten kommen auch eher nur marginal vor das innere, mithörende Wiedererkennungs- und kritisch wahrnehmende Sammlerohr. Eher sitzt im yes-britischen, skandinavisch-norwegischen Breitwandsound diese ganz gewisse Komplexvariabilität alter Italiener wie Premiata Forneria Marconi, und das nicht zu sehr knapp (beim nächsten Album davon bitte [trotzdem] mehr!). Eigentlich: kritisch ist dieser Sound für Glückselig-Süchtige kaum zu betrachten. Gewiss: die Kompositionen, die Arrangements - die sind fabelhaft ausgebaut, niemals langweilig, stets von wundersam vielen kleinen und großen Details liebevoll ausgeschmückt, jedoch nicht so markant und ausdrucksstark wie die besten ihres britischen Vorbildes. Wobbler tun sich und uns (gewiss vielleicht absolut mit Absicht) nur die besten Sachen an. Wie sie was spielen, hat ganz große Klasse. Die Songs sind dynamisch, lebhaft, virtuos und rasant, stets schwingt ein nachdenklicher Hauch im Off mit, energetische Einbrüche in laszive Lyrik haben viel reiche Melancholie, wie die Farben des Meeres während Gewitter, wenn Dunkelblau, Grün, Violett, Weiß, Schwarz, Gelb, Mattrot, düsteres Grau und hellstes Grau im steten Wechselspiel schauspielern. Die Jungs sind nun schon einige Jahre gemeinsam aktiv und scheinen sich immer noch zu ertragen, gehen sich nicht auf den Keks. Wie sollten sie sonst gemeinsam zu solcher Großtat finden?
Die setzt sich auf ‚Seite 2' fort. "This Past Presence" (6:14) kann ebenso bombastisch vorwärts preschen wie lyrisch zurückhaltend agieren. Die Vielschichtigkeit der Themen und die instrumentale Komplexität, die in gedruckten Noten die Themenvielfalt vor das Auge führen und bewusst machen, wie verrückt die Band daran immens geübt haben muss, um die Songs ebenso dynamisch und herzhaft drauf zu haben, wie sie hier zu hören sind, haben nie Krampf, sondern sind locker und lebhaft. "A Fairie's Play" donnert mit Macht durch seine 5:19 Minuten, endet abrupt, und ist so frisch und hinreißend, dass seine Epik fast noch aus der hohen Qualität des Gesamtwerkes herausragt. "The River" (10:04) geht dann noch einen Schritt weiter. Im Vokalpart zurückhaltend und liedhaft im symphonischen Gemälde, wird es instrumental die echte Materialschlacht. Kein Wort - anhören!
Zuletzt setzen die 2:19 Minuten in "Lucid Dreams" mit Glockenspiel an, zart und sanft baut sich die tieflyrische Note aus; Mellotron, Flöte, Bass, Synthesizer - verschwommen und mit psychedelischem Glanz entschwindet die Platte mit diesem sphärischen Licht. Als löse sich das Album auf, verschwände der Traum, so bleibt Stille nur wie donnernder Klang im Raum zurück und eine Leere, die von einem Nachfolgealbum erst einmal nicht verdrängt werden will.
45:58 Minuten langes Geschenk an die süchtigen Prog-Freaks der alten Schule.

myspace.com/wobblermusic
termorecords.com
VM



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