Violent Silence "Kinetic" (Progress Records 2005)

Uppsala in Schweden ist ein gutes Nest für gute Musiker. Flower Kings und Kaipa kommen von dort, das Omnibus Wind Ensemble, Ensemble Nimbus, Hasse Bruniusson (Samla Mammas Manna) und sicher etliche mehr. Die alte Hauptstadt Schwedens ist ein großes Zentrum nördlich von Stockholm. Eine schöne, historische Stadt, die man als Tourist nicht an einem Tag erforschen kann.
Violent Silence kommen auch aus Uppsala. Mit den anderen Bands haben sie nur marginal Gemeinsamkeiten. Eher ist das Quintett mit Greenslade vergleichbar (und weniger mit UK und Genesis, wie es im Pressetext steht). Hannes Ljunghall (key) und Johan Hedman (dr) haben die Band 1999 gegründet und 2003 ihr Debüt auf Record Heaven veröffentlicht.
Die neue Produktion, "Kinetic", just jetzt im November 2005 bei dem schwedischen Label Progress Records veröffentlicht, ist ein sagenhaftes Album. Phillip Bastin (b), Björn Westén (key) und Bruno Edling (voc) vervollständigen das Line-Up. Gitarre kommt in der Band nicht vor, aber das allein ist nicht der Vergleich zu Greenslade. Eher sind es die tollen symphonischen, melodisch eingängigen und bisweilen brachial ausbrechenden Songs der Band. Weitere Inspiration hat die Band sich wohl bei UK und Atomic Rooster geholt. Violent Silence sind definitiv auf den analogen Sound der 70er orientiert. Nach dem kurzen, zarten und straff gespielten Opener "Morning Star", dessen melancholische Struktur ein wundervolles Album erwarten lässt, gehen Violent Silence gleich in die Vollen und spielen den 7-minütigen Titelsong mit diesen grandiosen Vokalparts. Der Jazzgesang im Symphonic Rock Gewand hat es in sich und überzeugt rundum. Die Keyboards übernehmen die harten Parts der Gitarre, hier wird gerockt ohne Ende. Die Schlagzeugarbeit ist zum Niederknien, die Bassmelodie ungemein abstrakt und lebendig, woher haben die dieses tolle Stück Musik?!?
In einigen Songs werden die Keyboards wie Vibraphon gespielt und gerade im 3. Track "Torrential Rains", wo sich der Rhythmus in seiner verspielt-aufgeregten Stimmung gern schon mal übersteigert und wie toll herumspringt, wird viel schön virtuoses, geradezu freches Vibraphon-haftes Spiel dargeboten. Ein weiteres ausgezeichnetes und melodisch bisweilen wundervoll von zarten Dissonanzen durchzogenes Stück, dessen 6 Minuten live sicher viel Raum für fulminante Soli bieten. "Night Lights" im Anschluss huscht und stolpert schüchtern und flüchtig dahin. Kaum hat die Note begonnen, ist sie auch schon vorbei. Gerade einmal 1.45 Minuten lang, ist dieser Eindruck von verträumter Melancholie doch von großer Ausdruckskraft und melodischem Schöngeist.
Danach fließt "Sky Burial" über 8 Minuten melancholisch dahin. Die Keyboards mäandern sphärisch. Das Stück hat keine straffe Melodieführung und entspanntes Flair. Hier tun sich poppige Momente auf und wäre der Rhythmus nicht von einem variablen Schlagzeug gespielt worden, könnte die leidlich interessante Komposition auch als 80er Dancepop durchgehen. Gut, dass dem nicht so ist. "Subzero" im Anschluss greift wieder stark aus. Die Jazzvocals kuscheln sich in den Symphonic Sound ein, die Keyboards illuminieren Vibraphon, das Schlagzeug agiert herzhaft und die Melodielinie des Basses hat klassische Einflüsse. Ein Traum!
Schließlich sind Violent Silence an ihrem Longtrack angekommen. "Quiet Stalker" breitet sich galant über 18 Minuten aus, bietet das typische skandinavische Melancholie Flair auf ganz eigene Weise und faltet hinreißende Melodiebögen auf. Wie oft mag die Band daran gesessen haben? Wie viele Ideen mögen in dieses große Stück Musik eingeflossen sein, wie lange haben sie an den harmonischen Auflösungen gebastelt? Alles scheint einfach an dem langen Track; eingängig, verständlich. Und doch sind die rhythmischen Verschleppungen, harmonischen Brüche und dissonanten Zartheiten von groß angelegter und verflixt komplizierter Struktur. Gerade "Quiet Stalker" braucht einige Hördurchgänge, um sich ganz zu öffnen. Dann kann der Song sich intensiv festsetzen, will letztlich nicht mehr aus den Ohren und lädt wieder und wieder ein, die diversen komplizierten harmonischen Wechsel zu hören, um sie nach und nach zu begreifen. Meine Hochachtung!
"Homesick" als Schluss fließt sanft vorbei, still, bewegt wie schweres Magma und doch von virtuoser Natur. "Kinetic" ist ein Wirklichkeit gewordener Traum, macht kein großes Aufsehen und sollte es doch. Wundervolle Musik, verflixt überlegt und doch nicht kopflastig, hochmelodisch und dennoch von harmonischer Abstraktion, lyrisch und aufbrausend, mal sanft, mal selbstbewusst wild.
Gewiss werden zuerst Fans alter symphonischer Rockmusik die Band für "Kinetic" lieben. Doch vielleicht werden auch Rocker, die Prog mal so nebenbei antesten, ihre Freude haben. Die Qualität ist dafür gegeben.

violentsilence.net
progressrec.com
justforkicks.de
VM



Zurück