Ut Gret "Ancestor's Tale" (AltrOck 2014)


Vielleicht, so möchte ich meinen, hat es nie eine bessere Zeit für avantgardistischen Progressive Rock gegeben. Und für seine Anhänger. Da ist zum einen die Orientierung auf originelle, komplexe Komposition (statt auf käuferfreundliche Eingängigkeit), aufregende, mitreißende Instrumentallandschaft, die üppig und weit ausgeführt wird, technisch und handwerklich großartige Musiker, gute Studiobedingungen, an Komplexität und Extravaganz interessierte Bands/Musiker/Labels/Käufer - wenn alles auch nicht im besonders großen Rahmen. Dafür gut vernetzt, weltweit. Vermutlich werden kreative Künstler (leider) nicht viel Geld damit verdienen. Aber jedes Album, jede CD, jede LP - alle anderen Formate - sind Teil des persönlichen Denkmals. AltrOck ist ein Denkmal. Eines wie Cuneiform. Eines wie Ut Gret. Lebendige Denkmale!
Ist Ut Gret eine 'echte' Band? Seit den 1980ern existierend, gibt es mit dieser CD bislang 4 Veröffentlichungen. Da sind Besetzungsparallelen zu French TV, zu denen sie auch musikalische Parallelen aufweisen (so wie zu Thinking Plague, U Totem, Pocket Orchestra) - im weiteren Sinn. Die Band selbst nennt ihren eklektische Stil "pan-idiomatic music" - eine Kreuzung verschiedener Einflüsse aus experimentellem Jazz, Improvisation, Folk, Avantgarde Rock und klassischer Musik.
"Anchestor's Tale" könnte als Kammerprog bezeichnet werden - das trifft es indes nicht sehr. Ut Gret klingen größer, flächiger, vielfältiger als Univers Zero und die aktuellen Bands der Szene. Und doch gibt es markante Merkmale: Klarinette, Bassklarinette, Flöten, Baritonsaxophon, Fagott, Violine - neben dem bekannten Rockinstrumentarium.
Sängerin Cheyenne Mize hat einen sehr entspannten Gesangsstil, eine handwerklich geübte weiche, zarte, ungemein klare, kraftvolle Stimme mit dunklem Charakter. Ihre Beiträge auf grandios in die Musik passenden Gesangslinien sind sehr überzeugend. Indes gibt es nicht viel Anlass zu singen, der überwiegende Anteil der Musik auf "Ancestor's Tale" ist instrumental.
Ut Gret sind eine typisch amerikanische Band. Obschon es da eine Fülle Einflüsse aus dem alten Europa gibt, etwa von Univers Zero oder der Übermutter King Crimson, klingt die Band typisch amerikanisch. Was nicht zuletzt an den folkloristischen wie diversen Jazz-Einflüssen liegt. Im Gesang, in der Komposition, in der Nonchalance der lässigen Themen, der partiell Jam-haften Ausführung - gerade im Gesangsbereich. Überhaupt liegt dem Charakter der Arrangements ein amerikanisches Flair inne - nun, sie sind Amerikaner.
Welch ein Glück für Süchtige dieser Spielart, dass Ut Gret und AltrOck diese Produktion realisierten. In den 10 Songs und 58:27 Minuten Spielzeit ist ein schier unerschöpfliches Füllhorn an Ideen zu hören. Die Songs haben hochkomplexe Strukturen, verblüffen durch stete Brüche und Wendungen und hinreißend großartigen, symphonisch crimsonesken Flächen nach unübersehbaren Ecken(!). Ebenso passieren diese Jam-artigen, lang ausgeführten Instrumentalläufe mit Soloparts der Blasinstrumente. Und wenn, zum Beispiel, die Bassklarinette ein Solo über einen deftigen Rockpart führt, ist das schon sehr hinreißend.
"Ancestor's Tale" ist ein kunstbezogenes, abstraktes Projekt mit vielfach jazztypischen Soli, partiell minimalistisch repetitiven Songparts, rockenden Jam-Läufen, vertrackt gefügten Arrangements, die nur stets vital und rasant ausgeführt sind.
Nix lange reden.
Zuhören!
Dringende Empfehlung!

altrock.it
VM



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