Univers Zero - Die Bandstory



Seinen ersten Kontakt zur Musik hatte Daniel Denis, seines Zeichens Schlagzeuger, Komponist, einzig stetes Mitglied und Vordenker der belgischen R.I.O. Band Univers Zero bereits auf dem Spielplatz. Er trommelte mit Blechtrommeln, die er von seinen Eltern geschenkt bekommen hatte. Als Daniel elf Jahre alt war, kaufte sich einer seiner älteren Brüder ein Schlagzeug und Daniel lernte, indem er zusah, wie sein Bruder spielte. Vierzehnjährig hatte er seinen ersten "Gig", als er für zwei Nummern hinters Kit stieg und die Band seines Bruders begleitete. Jedoch entzündete sein Interesse sich 1967 erst richtig, als die Musik von Jimi Hendrix, Pink Floyd, The Nice, Syd Barrett und Cream der Rockmusik zu neuer Qualität verhalf. Mitch Mitchell, Hendrix´s Drummer war sein Favorit. Er hörte die Musik, spielte mit seinem 1968 (endlich) gekauften Schlagzeug dazu und erlernte so verschiedene Techniken. (Seine Lieblingsdrummer wurden: Michael Giles - King Crimson , Tony Williams - Lifetime, Christian Vander - Magma, John French - Captain Beefheart und Robert Wyatt - Soft Machine.)

Schließlich wollte er eigene Songideen umsetzen und lernte, Piano und Bass zu spielen. 1969 war er der Drummer in zwei parallelen Bands. 1970 traf Daniel Jean-Luc Manderlier und die beiden beschlossen, eine Band zu gründen, die in der Art von Soft Machine musizieren sollte. Daniel Denis nannte sie später die erste Band, die für ihn wirklich interessant und bereichernd war: Arkham. Jean-Luc Manderlier komponierte waghalsige, faszinierende Stücke, die stark von der jazzlastigen Rockband Soft Machine beeinflusst waren. Hier spielte Daniel das erste Mal bizarre Harmonien und innerhalb eines Songs wechselnde Takte. Und hier begann sein Interesse an orchestralen Drums, an einem Sound, den die Drums nicht nur untermalten, sondern in dem das Schlagzeug eine gleichberechtigte Treibkraft sein sollte. Daniel veränderte seinen Schlagzeugsound mit dem Spielen von Bass und Piano. Erst an diesen beiden Instrumenten wurde ihm klar, was am Schlagzeug möglich sein musste.

1971 spielten Arkham als Opening Act für Magma in Belgien. Magma und vor allem deren Drummer und Chef Christian Vander waren von Daniel und seiner Band begeistert. Vander bot Daniel und Jean-Luc an, bei Magma einzusteigen. Das war das Ende von Arkham. Jean-Luc blieb ein Jahr bei Magma, Daniel nur für ein paar Gigs. Zwei derart ausdrucksstarke Drummer in einer Band, das ging nicht gut. In Daniel wuchs zunehmend das Verlangen nach einer Band mit eigenem Sound, bei Magma konnte er nur deren Stücke spielen, die ihm zwar gefielen, die aber nicht seine eigenen Songs waren. Zudem entwickelte Daniel musikalische Vorstellungen, die denen von Magma ungleich, die überhaupt nicht mit irgendeiner Band vergleichbar waren.

Daniel traf, zurück in Belgien, Claude Deron wieder, den Trompeter und dritten Teil von Arkham. Die beiden fragten Roger Trigaux und Guy Segers, ob sie interessiert wären, gemeinsam eine Band zu gründen. Sie sagten begeistert zu. 1973 nannte sich die Band noch "Necronomicon", doch schon 1974 war Univers Zero geboren.

Zu Beginn, meinte Daniel Denis in einem späteren Interview, war die Arbeit in der Band noch sehr kollektiv. Einer brachte eine Komposition mit und alle arbeiteten daran, bis das Stück für die Band ausreichend war. So kam es, dass die Strukturen einiger Stücke sehr fragmentarisch und zu chaotisch waren. Doch im Laufe der Zeit wurden die Stücke, die die einzelnen Komponisten und allen voran Daniel einbrachten, immer perfekter und "fertiger", so dass die Band die Songs nur noch einstudieren und spielen musste. Im Laufe der Zeit wurde aus der Band um Daniel (die personell stetig wechselte) eine Perfektionsmaschine, die ihre abstrakten Stücke immer energischer zu spielen wusste. 1980 verließ Gitarrist Roger Trigaux die Band und gründete sein eigenes Projekt Present. Daniel trommelte auch bei Present die beiden ersten Platten ein, Trigaux lud ihn dazu ein. Hier konnte sich Daniel ganz auf das Schlagzeugspiel konzentrieren, Roger ließ ihm dabei freie Hand. Roger Trigaux war nicht in Feindschaft geschieden, sondern, wie Daniel 1971 von Magma, um Musik mit eigenem Ausdruck zu entwerfen. Die gitarrenlastige Band Present wurde zu einer Bereicherung, die mit deutlich unterschiedlichem Klang das düstere Feld herb-wilder Musik erläuterte.

1977 erschien die erste Platte von Univers Zero. "1313" wurde zum ersten Kapitel in einer neuen Rockmusik. Fagott, Violine, Bass, Gitarre und Schlagzeug bestimmten in bis zu 15 Minuten langen Stücken einen neuen, aggressiven Ausdruck von Gothic, Neuer Klassik und düsterer, aber sensibler Klangsprache des Rock. Dramatische Töne schlug die Band an. "1313" war trotz des mechanischen, frappierenden Schlagzeugspiels und der expressiven Fagott/ Violine/Gitarre keine experimentelle Avantgarde. Die sehr komponierten Stücke ließen weit ausholenden Soli/Improvisationen keinen Raum. Wie in der klassischen Musik waren die rein instrumentalen Stücke bis in die Haarwurzel notentechnisch festgelegt.

Ein Stück auf "1313" hieß nach dem Massenmörder Docteur Petiot, auf dem zweiten Album war auch ein Song, der sich mit einem Massenmörder beschäftigte: Jack the Ripper. "Heresie" war 1979 mit gerade 3 Songs voll abgründiger Düsternis und dramatischer Strenge kammermusikalisch angelegt. Die von klassischer Musik inspirierten Kompositionen sind schwerlich einem Zweig der Rockmusik zuzueignen, bis heute wird Univers Zero nicht nur der Rock In Opposition - Szene zugeordnet, sondern mit einem eigenen Stil versehen: New Chamber Rock. Die verhallte Stimme von Guy Segers lässt das Blut in den Adern gefrieren, während Geige, Gitarre, Fagott, Bass und Schlagzeug ein finsteres Gebräu aus schweren mollastigen Kompositionen, folkloristischen Schnipseln und dramatisch-wagnerianischer Interpretation entwerfen. Hier war eine musikalische Elite am Werk, die technisch zu solch aufwendigem Vorhaben geeignet war. Ausgedehnte Instrumentalpassagen verflochten in schier chaotisch anmutenden Melodiesträngen, die in große Harmonie gipfelten. Diese energischen Stücke sind atemberaubend.

Später meinte Daniel Denis, dass die Band gerade bei "Ceux du Dehors" sehr konzentriert arbeitete. Es war nicht mehr möglich, diese Arbeit lange fortzusetzen, weil der Geist, der dieser Musik innewohnte, immer schwerer zu erreichen war. Die Band um Daniel setzte ungemein viel Energie in die Projekte, die nicht in dem Umfang wieder hineinkam. Das dritte Album, 1981 erschienen, hatte weniger Düsternis als das darin unübertreffliche "Heresie", aber deutlich mehr Struktur. Die technisch gewachsenen Stücke waren schwer komplexe, höchst aufwendige und durchstrukturierte Kompositionen. Klassische Einflüsse hatten zugenommen, dramatische Wendungen und Steigerungen innerhalb der Kompositionen machten Univers Zero, jetzt ohne Roger Trigaux, fast zum klassischen Kammerensemble. Dennoch schien die Band deutlicher in der Rockszene zu Hause. Stück Nr. 3: "Bonjour Chez Vous" ist eine Groteske mit hintergründigem Charakter, erstaunlich ernst und fabulierend zugleich. Mit "La Musique D´Erich Zann" ist eine kollektive Gruppenimprovisation dabei, die fast strukturfrei eine gewaltige Klangmasse erzeugt. "Ceux du Dehors" war abstrakter und "wirklicher" als die beiden Vorgänger, gewachsen mit den Komponisten der Band. Und doch schien ein Wendepunkt erreicht, der nicht umkehrbar war. Die Band brach nach der Platte einige Male auseinander. Trotzdem fanden sie, weil es keine Alternativen gab, immer wieder zusammen. "It was an eternal rebeginning" meint Daniel Denis.

Das 1984 folgende Meisterstück "Uzed" war trotz aller personellen Querelen kein Ausdruck irritierter Wechselhaftigkeit. Mit gesteigertem Rocksound fand die Band zu abstrakten Kompositionen. Das Schlagzeug "arbeitete" mehr. Rhythmische Figuren gaben den irrwitzigen Songs deutlicher als zuvor den Rahmen vor. Die avantgardistische Klassik, gepaart mit Rock und Jazz, verflocht flüssiger denn je zu hinreißenden Stücken. Solche Musik war nur in Europa möglich, ohne den gewaltigen klassischen Background wäre niemand auf die Idee gekommen, solche bis dahin unvereinbar geltenden Strukturen zu verweben, ohne die Musikalität der Stile zu verlieren.

Deutlich blieb dies auch auf dem 86er Werk "Heatwave". Die Band bestand nunmehr aus sieben Musikern, einige von ihnen ein zweites Mal dabei. Univers Zero war verändert. Die Stücke wirkten mehr wie Songs, waren elektrischer und zerfahrener. Zwar war die Ambition der Band unverändert. Doch kamen einige Merkmale hinzu, die bisher so nicht zu hören gewesen waren. Wieder war die Band rockbetonter geworden. Das wird Derjenige nicht merken, der diese Platten das erste Mal hört. Doch Univers-Zero-Freaks merken schon nach wenigen Takten, dass weniges war wie früher. Das Gleichgewicht hatte sich hin zu elektronischen Effekten verschoben. Diese Effekte übernahmen nun den Platz der klassischen Einflüsse, gaben dem Ausdruck der Band ein neues Gesicht und verfremdeten schwere Strukturen gleißend. Danach gab es die Band nicht mehr.

Daniel Denis machte unter eigenem Namen weiter. Der Geist von Univers Zero habe sich von selbst aufgelöst, meinte er. Der Kern der Band sprang auseinander. Der offenbare Mangel an Zusammenhalt, der noch größere Mangel an Geld waren Gründe. Später gab es Pläne für eine Reunion, aber daraus wurde nie etwas.
     

Er spielte zwei Platten ein. "Sirius and the Ghost" ist ein Gothic-Progressive Album, das weniger verwandt mit Univers Zero ist als das 1993 folgende "Les Eaux Troubles". Daniel reflektierte die Jahre mit Univers Zero, die Musik selbst. Dass er nun unter eigenem Namen veröffentlichte, erlaubte ihm, mit anderen Mitteln zu arbeiten, sich neu zu orientieren. Komponieren am Computer wurde zu einem ganz neuen Arbeiten. Auf seinem zweiten Album waren in einigen Tracks Guy Segers, Dirk Descheemaker und Andy Kirk von Univers Zero zu hören und Pierre Vervloesem war als Gitarrist dabei.

Nebenher war Daniel Gast bei den französischen Avantgardisten Art Zoyd, für die er drei Platten eintrommelte.

Und plötzlich erschien zum Jahrtausendwechsel mit "The Hard Quest" eine neue CD von Univers Zero. Daniel Denis, ohne den diese Band nie existiert hätte, trommelte einige alte Mitstreiter und Reginald Trigaux (Sohn von Roger und heutiges Mitglied in dessen Band Present) sowie den unbekannten Igor Semenoff zusammen, um in elf Stücken zu erläutern, dass der alte Geist, der Univers-Zero-Charakter keinesfalls vergangen war. Die elektronischen Effekte der letzten Univers Zero - Scheibe waren verschwunden, dagegen ist der klassische Einfluss stärker - aber auch in der Struktur einfacher - geworden. Folkloristische Elemente und Neue Musik treffen sich in einem Rockkontext, der fröhlicher, erwachsener und leichter als je zuvor zu erfahren ist. Leichtigkeit hat sich in das Werk geschlichen. Zugleich klingen hier viele Ideen wieder durch, die Univers Zero auf ihrem ersten Album hören ließen.

Es folgten weitere Alben, die den alten und den neuen Geist der Band stetes neu wiederbelebten. Folkloristische Düsternis in kammermusikalischem Rock komplex zu dramatischen Miniepen verwoben, waren 2002 auf "Rhythmix", 2004 auf "Implosion", 2006 auf "Live" und "Clivage" (2010) zu hören. Daneben gab es eine CD mit Archivaufnahmen, "Relaps" ließ unveröffentlichte Aufnahmen der Jahre 1984 bis 1986 entdecken.

Und das Ende der Band ist lange noch nicht gekommen.

VM



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