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Tunnels "Natural Selection" (Buckyball Records 2006)
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In Tunnels vereinen sich die kreativen Gene von Marc Wagnon (midi vibes, ex-Dr. Nerve), Percy Jones (b, ex-Brand X) und Frank Katz (dr), der jedoch in die Einspielung des neuesten Streiches "Natural Selection" nicht involviert war, sondern John O'Reilly Jr., der das Schlagzeug nicht minder technisch bedient, aber einen deutlich mehr an schwerem, intensivem Groove orientierten Stil betreibt. Auch John Goodsall (g, ebenfalls ex- Brand X) und Mark Feldman (vi), sonst gern gesehene Gäste im Tunnels-Haushalt, haben keinen Anteil an der Einspielung des neues Werkes. Die Besetzung ist radikal zusammengestrichen worden, Bass, Schlagzeug und Midi Vibes allein betreiben das Soundbild der 9 Tracks.
Das jedoch ist nicht im Ansatz auch nur ein Hauch eines Mankos. Die 3 illustren Instrumentalisten sind ungemein begabte und inspirierte Musik-Handwerker, die den weiten Raum der zwischen 5 und 8 Minuten langen Tracks genussvoll und intensiv auskosten.
John O'Reilly Jr. mag ein starkes Faible für Groove haben (was auch Frank Katz minderstark zeigte), seine Schlagzeugarbeit jedoch ist ungemein virtuos und variabel. In einigen Passagen, so im Opener "Devil's Staircase" springt der Rhythmus nach einem extrem komplexen Part, der sich emotional enorm steigerte, in 4/4 über, ohne dass das Stück nun plötzlich als Dance oder Pop gelten kann. Diese Passage ist etwa eine Minute lang, danach zerfasert der Rhythmus wieder und findet zu der differenzierten und intensiven Spielweise zurück, die zu Anfang herrschte und bis zum Ende bestimmend bleibt, wenn hin und wieder auch einige ohrenfreundliche Rhythmen Eingang fanden.
Percy Jones ist ein Pionier des Jazzrock. Mit Brand X hat er grandiose Alben eingespielt. Seine Mitarbeit in Tunnels bringt nicht durch die Bekanntheit seines Namens allein ein gewisses Erfolgsversprechen ein. Längst nicht. Jones bringt den Bass zum Singen, durchklettert auf den bewegten und variablen Tönen seines Instrumentes tief ausgeschürfte Klangschluchten und meistert in erheblich großartigen Soli die Energie der Kompositionen. 3 der Songs hat er selbst geschrieben, ohne jedoch in gerade diesen Tracks weiter im Vordergrund zu stehen, als in jedem anderen Track.
Marc Wagnon ist ein Meister des Vibraphons. Seit einigen Jahren schon und vor allem in der Band Tunnels spielt er Midi Vibes; die natürlichen, klaren Klänge des Instrumentes werden elektronisch verfremdet, so dass in großen Teilen seines Spiels gar nicht zu erkennen ist, dass er Vibraphon spielt. Die jazztrunkenen Harmonien seines Malletspiels scheinen von Keyboards zu stammen, von elektronischen Instrumenten wie Synthesizern. Aber weit gefehlt, alles Sounds entstammen Mallets. Seine grandiose Technik ist damit nicht minder zu erkennen. Jedoch gehen die Stücke des reinen, wundervollen natürlichen Klanges des Vibraphons verlustig. Dafür treten diese seltsam verfremdeten Sounds in die Songs, deren harmonisch grandiose Jazzsprache einfach nur grandios zu nennen ist. Was auf der einen Seite also fehlt, wird von anderer Seite phantasievoll und hinreißend ergänzt.
Keines der kraftvollen Stücke steht besonders im Vordergrund, es gibt keinen Hit in der Sammlung der 9 Tracks. Die außergewöhnlichen Stücke verraten inspirierte Komponisten (Marc Wagnon hat die anderen 6 Tracks - neben den 3 von Percy Jones - komponiert), das herzhafte und volumig kraftvolle Arrangement der Stücke ist erstklassig ausgeführt, jeder Ton sitzt leger und würzig an seiner Stelle und malt volle Farben mit kraftvollem, sensiblen Strich.
Als Fan könnte man meinen, dass so eine Band in einem langen Jahr ein Album einzuspielen in der Lage sein müsste, um der persönlichen Unterhaltung Genüge zu tun. Die Voraussetzung der Inspiration wird als Konsument gewiss nicht bedacht. Und wohl auch nicht, was denn nun darin steckt, in der Musik. Welche Arbeit nicht nur als Musiker, und wie viel als Musiker. Nicht nur aus dieser Sicht betrachtet ist "Natural Selection" ein erlesenes Geschenk an alle Progressive Jazzrock-Interessierten, die wir nur wenig dafür geben müssen und selbst niemals die Möglichkeit hätten, diesen Reichtum an Ausdruckskraft und musikalischer Schönheit, Wildheit und Ästhetik zu erfinden, aus dem Nichts zu klauben.
Meine Hochachtung diesen begnadeten Musikern, die es ein weiteres Mal auf zuhöchst unterhaltsame und leidenschaftlich verzückende Weise verstanden haben, eine ganze Stunde mit virtuos-lebendiger Musik zu füllen.
buckyballmusic.com
VM
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