Markus Reuter „Todmorden 513“ (Hyperfunction/Gallileo 2013)

Auditive Infinitesimalrechnung, maximaler Minimalismus, magmaeske Ultrazeitlupe; all das kommt mir beim Hören dieses Konzertes für Kammerorchester in den Sinn. Markus Reuter, der musikalische Tausendsassa, Chapman-Stickist, Warr-Gitarrist, Komponist, Psychologie und noch vieles mehr, mutiert mit dieser Komposition zum Revisor der Realität im Pratchettschen Sinne, der nicht nur alles Lebende, sondern auch den Tod morden möchte, um hinfort als Untoter die Flure des musikalischen Pantheons durchstreifen zu können und Musen-Göttern wie J.S. Bachus oder Frank Zappeus zumindest über die nicht (mehr) vorhandenen Schultern zu schauen. Dabei macht er ganz und gar keine schlechte Figur, denn seine elegischen Klangkaskaden, die insgesamt aus 513 Akkorden bestehen, wobei der Folgeakkord in gewisser Weise stets aus dem Vorgänger emaniert, kreisen um die Sinnmitte des Seins, evolutiv ihre Bahnen und den geniegten Rezipienten in ihren Bann ziehend. Endings are always beginnings, so to say – in der Tat erklingt nach dem 513. Akkord wieder Akkord Nummer 1. Die Chiralität der Spiralität wird dabei gleichsam zur evidenzbasierten Spiritualität transformiert. Dieses akustische Konvolut entführt uns in wahrhaft englische Sphären und erinnert mich dabei gelegentlich an den großen Alan Hovhaness. Der Hörer, der en bloc gebustert und daraus resultierend im visuellen Bereich schnellschnittgeschädigt ist, wird freiwillig wohl kaum die Geduld aufbringen, sich der Entdeckung der Klang gewordenen Langsamkeit hinzugeben, wer sich allerdings öffnet für die behutsam auf ihn einströmenden Schwingungsmuster, kann sich gar nicht satt hören an diesem perfekt ausbalancierten Hörgenuss. Das dieses Musikstück interpretierende Colorado Chamber Orchestra fungiert dabei gleichsam als amöboeske Klangschale, die sämtliche Facetten ihres Obertonspektrums zwischen Auf- und Abrollbewegung skalierend preisgibt. Rendezvous 5:13 – does the knell toll for thee?

todmorden513.com
Frank Bender



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