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Tibet "Tibet"
(1979 Bellaphon, 1994 Musea, 20.02.2015 Sireena)

Anyone's Daughter "Anyone's Daughter"
(1980 Spiegelei, 1990er WMMS, 20.03.2015 Tempus Fugit/Rough Trade)


Nostalgie? Gewiss nicht allein. Musik, die man kauft, ist etwas Besonderes. Und Progressive Rock ist etwas spezielles Besonderes. Als die LP ‚alt' wurde und die CD jung war, Speicher- und Klangmöglichkeiten andere, neue Dimensionen bekamen, Reissues für erneutes (Progressive Rock-)Interesse sorgten und umfangreiche Booklets mehr inhaltsreiches historisches Wissen um Band und Album beinhalteten als je zuvor, lag der Fokus auf dem neuen Medium. Die CD hat sich mehrfach erneuert. Nach Erstauflagen (Hurra, die Scheibe endlich auf CD!) folgten remasterte Auflagen, später Special Editions aller Art oftmals mit Bergen an Bonusmaterial, gar auf DVD oder BluRay. Der Reiz der CD, für mich persönlich noch voll ausgeprägt, verblasste und neue Medien waren da längst etabliert. Digitale Musikspeicher aller Art. Zuerst in schlechtem Sound, überall illegal zum Download zu haben, bis ‚Blogspot' ein magisches Wort war, unter dem alles verfügbar zu sein schien. Doch diese Art Qualität, mal abgesehen von der Illegalität, war kaum angemessen, Klassiker neu zu präsentieren. Noch immer gibt es, weit eingeschränkt, Möglichkeiten dieser Art. Doch mit dem massiven Abbau der Klangqualität, der mit der ebenso massiven Möglichkeit, alle Aufnahmen digital besitzen zu können, einherging, verblasste die Musik.
Die LP war schon lange tot (seit den frühen 1990ern waren ganze, umfangreiche LP-Sammlungen für viel Geld von überdrüssigen alten an neugierige neue Sammler gegangen, ‚Originale' konnten manchmal 1:1 gegen Mercedes-Oldtimer getauscht werden), da bemerkte die Industrie, dass die LP gar nicht tot war. Peu á peu wuchs das alte neue Medium, und die Fans schwärmten. Je besser dotiert der Job, desto früher werden aus MP3-Bergen heißgeliebte, frische LP-Sammlungen, die Stück für Stück und Zentimeter für Zentimeter Musikzimmer mit großen Klappcovern wertvoll machen.
Nun, jetzt ganz persönlich. Ich besaß einst zu viele LPs (über 12.000 Stück), darunter sehr viel ‚normaler' Rock, etwa Chicago, Deep Purple, Manfred Manns Earth Band, etc., viel dieser Art, und einige wenige Perlen. Ich fuhr die Sammlung bis Ende der 1990er Jahre auf 14 (!) Stück herunter (die Scheiben gab - und einige davon gibt - es noch nicht auf CD). Die CD-Sammlung wuchs, dank freundlicher Mailorder-Kanäle, mein bevorzugter heißt Freak Charly in Würzburg. Seitdem hat sich meine CD-Sammlung vielfach verjüngt, sind CDs rausgeflogen, durch Remaster-Editionen ersetzt und schließlich in Special Edition Boxen aufgegangen. Manche Scheibe gibt es nur "vom Japaner", quasi als Bootleg, auf CD, anderes, wer weiß das nicht, wurde zahllos neu aufgelegt. Zum Glück gibt es die vielen kleinen Labels mit eigenem, speziellen Interesse, die in relativen Kleinauflagen spezielles Programm für spezielles Publikum auflegen.
Und einige dieser Labels sind in Erweiterung ihres Programms längst dazu übergangen, LP-Editionen aufzulegen. Vielfach Alben, CDs, Digitales, was noch nie auf LP produziert war, aber auch Klassiker und Oldtimer, die seit Jahren oder Jahrzehnten nicht auf LP verfügbar waren (und auch in den noch wenigen verbliebenen Second Hand Plattenläden nicht/kaum zu finden sind).
Sireena Records sind auf eben diesem Dampfer. Die Nachfrage wird größer und die Presswerke laufen warm.

Zu den jüngsten LP-Auflagen gehören zwei Klassiker des deutschen Progressive Rock. Tibets einziges, namenloses Album aus dem Jahr 1979; von ELP, Pink Floyd und Yes inspirierter Symphonic Rock mit Einflüssen folkloristischer Klänge aus dem Tibet (was sich anfänglich im Instrumentarium niederschlug, doch bald wurde statt Flöte, Sitar und Tablas der Synthesizer eingesetzt); sowie das zweite, ebenfalls namenslose Album von Anyone's Daughter, das letzte in englischer Sprache gesungene Album der Band, ein Jahr vor ihrem Hesse-Werk "Piktor's Verwandlungen" veröffentlicht.

Die Werdohler Band Tibet, 1972 gegründet und 1980 aufgelöst, veröffentlichten zuerst eine Single, deren musikalischer Inhalt getrost als historisch nicht wertvoll eingestuft sein mag, und schließlich die LP. In drei Sessions von Dezember 1976 bis September 1978 wurden 7 Stücke eingespielt. Die Band erfuhr dank undurchsichtiger Politik ihres Labels nie, wie hoch die Auflage war. Zwischen 5.000 und 15.000 Stückzahlen wurden gepresst und verkauft. 1994 legte das französische Label Musea eine CD-Edition auf. Da die Masterbänder nicht mehr existent waren, wurde eine LP digitalisiert und remastert, so dass der Klang der CD nicht mäßig blieb. Nach vielfachen Umbesetzungen wurde Tibet schließlich nach dem letzten Konzert am 22. März 1980 aufgelöst.


Anyone's Daughter sind wohlbekannt. 1972 gegründet, veröffentlichte die Band erst 1979 eine LP, der im Jahresrhythmus bis zum (ersten) Ende weitere LPs folgten, bis 1986, nach einer ersten Bandauflösung 1984, endgültig Schluss war. Endgültig? Im Jahr 2000 wurde der alte Ofen wieder beheizt und läuft runderneuert bis heute, wobei die aktuelle Band natürlich nicht lediglich nostalgisch in der alten Schlacke rührt, sondern neues Material einspielte und damit auftritt (und vielleicht ansatzweise die Idee der alten Band hier und da anklingen lässt).
Die Stuttgarter Band stand mit ihren ersten Alben für symphonischen, sehr lyrischen und hochmelodischen Progressive Rock, wie ihn Eloy, Novalis und Genesis zelebrierten. Schließlich setzte die 1983 bereits umbesetzte Band auf Neue Deutsche Welle, kam ins Schleudern und setzte in Richtung Geschichte an.
Im ausklingenden 1970er Jahrzehnt war kaum etwas von der großen Idee des Progressive Rock übrig. Gewiss werden etliche Musiker heute denken, besser lieber alles anders gemacht zu haben (dabei mag nur der immer dünner werdende musikalische Inhalt von Gentle Giant betrachtet sein). Songs wurden einfacher, Schlagzeugarbeit poppiger und pappiger (bevor mit der digitalen Aufnahme dieser schreckliche, extrabillige 80er Schlagzeugsound das komplette Jahrzehnt verdarb), Keyboardsounds wurden ‚modernisiert' und wo eben noch langes Haar wallte, brach Vokuhila in Tateinheit mit Schnauzer (und entsprechender Bekleidung) mit der Vergangenheit. Ein, wiederum im Nachgang betrachtet, weiteres Desaster (ein wenig stolz darf ich sagen, dass mein Haar erst Ende der 1980er fiel, gezwungen militärischer Maßen, und das 1980er Bekleidungswesen ging als Giftbecher an mir vorüber, hin und wieder gibt es Glück).
Doch "Anyone's Daughter" war Progressive Rock ohne (größere) Popbeeinflussung. Zwar ist einiges sehr mild anzuhören: der Schlagzeugsound, der Gesang, einige Keyboardsounds, einige Arrangements), aber das Album kann durchaus als (nun 35 Jahre altes) Progressive Rock Werk gelten, das empfohlen sein mag.
Beide (remasterte) Alben sind nun auf 180 Gramm schwerem Vinyl aufgelegt worden. Die (unsterbliche) Hülle wurde mit originalem Design im aufwendigen Gatefold-Cover produziert, Fotos und Informationen sind im Innern der Cover zu finden. "Tibet" ist als farbiges Vinyl aufgelegt. "Anyone's Daughter" gibt es in 250 Stück auf gelbem Vinyl, in 250 weiteren Stück auf schwarzem Vinyl.

tibet-progressive-rock.de
anyonesdaughter.de
sireena.de
VM



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