Tempano "The Agony And The Ecstasy" (Musea 2002)

Die Venezuelaner Tempano haben die Messlatte mit den beiden Vorgängern "Atabal Yemal" (1979) und "El fin de la Infancia" (1999) sehr hoch angelegt. Die beeindruckend inspirierte Band wusste sich mit beiden Alben weit über dem Niveau des symphonischen Progressive Rock zu etablieren. "The Agony And The Ecstasy" scheint auf den ersten Blick nicht an diese Qualität heranzukommen. Doch je öfter ich das aus 15 Songs bestehende Album höre, um so tiefer gerate ich in den Sog der Musik, um so mehr gehen die nahezu perfekten Songs auf. Tempano verstehen es, zugleich anspruchsvoll und nachvollziehbar zu klingen. Sie scheuen vor disharmonischen Wendungen, abstrakten Ideen und schrägen Motiven nicht zurück, die sie hoch melodisch betten. Die ersten Stücke eröffnen das Album erstaunlich frisch, popverliebt und klingen schlicht, was sie längst nicht sind. Schleichend greifen die Songs in progressiv komplexe Motive über, nachdem sie symphonische Lässigkeiten in fast schon Neo Prog - typischen Arrangements ausgelebt haben. "The Agony And The Ecstasy" beinhaltet etliche folkloristische Motive, die verblüffend in crimsonesken Rock ausbrechen können, nur um wieder zu lässiger Nonchalance zurückzukehren. Raffiniert und verblüffend! Die neuen, schwer vielschichtigen und komplexen Songs scheinen etwas gebremst, in Härte und schräger Intention zurückgenommen; lyrischer, sanfter, kühler. Es gibt Stücke, die Radiotauglichkeit erreichen, ohne billig zu klingen. Symphonische Leidenschaften, hingebungsvoll intoniert, wie Liebeslieder mit allen formschönen Motiven berankt, die nicht ahnen lassen, wozu die wilde Band in der Lage ist. Und wenn solch ein Stück zu Ende geht, schleicht sich eine gewagt schräge Note heftig ein, verläßt die Band das harmonische Terrain und formatiert abstrakten Jazzrock. Ohne Punkt und Komma, als könnte es nicht anders sein. Trotz allem immer einen Hauch akustisch, zurückgenommen, wirken die hier symphonischen , da folkloristischen und dort jazzrockigen Kompositionen schalkhaft und verschmitzt. Ein gelungenes Unterfangen, voll illustrer Fantasien, frappierender Wendungen und überwältigender Pointen. Sicher ist "The Agony And The Exstasy" entrückter, rockferner als die beiden Vorgänger, dadurch aber nicht weniger interessant und anspruchsvoll. Die Musiker sind mittlerweile weit weg von jugendlichen Gefühlen, da formulieren sich die musikalischen Vorstellungen nicht mehr so heftig. Abgesehen davon ist Tempano immer noch eine der härteren südamerikanischen Progressive Rocker, die meisten symphonischen Bands vom südlichen amerikanischen Kontinent ertrinken in Bombast und Lyrik. Vielleicht ein Album für beide Fraktionen, die Neo Progger werden die Schönheit der Harmonien und die Old School Freaks die abstrakten und eigentlichen progressiven Motive lieben. Ein leidenschaftliches Album voll Witz und Ironie, Melancholie und Schwermut. Wer immer Interesse an symphonischer Rockmusik hat, kommt an diesem Meisterwerk nicht vorbei.

tempano.com
VM



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