The Tangent "Not As Good As The Book" (InsideOut Music, VÖ: 29.02.2008)

Da sind sie wieder. Auch eine feste Größe mittlerweile. The Tangent starten 2008 mit einem Doppelalbum. Auf CD 1 sind 7 Songs enthalten, CD2 hat zwei über 20-minütige Tracks drauf, die mehrere Untertitel haben. Gesamtlänge: über 90 Minuten.
Der "Klang" der Band ist schon in den ersten Sekunden nachzuvollziehen. Erstaunlich, dass das Projekt The Tangent, als Projekt muss es wohl bezeichnet werden, sind die meisten involvierten Musiker doch Leihgaben anderer Bands, seit seinem Beginn 2003 bereits einen eigenen, unverwechselbaren Charakter hat. Dieser Charakter bleibt auch 2008 offenbar, der variantenreiche Stilmix aus Symphonie Prog, Canterbury-Anleihen und Bombast Rock mit Popinfluenzien tackert genauso flüssig, lässig und entspannt in die Ohren, wie das die Vorgängeralben taten.
Andy Tillison, Chef des Unterfangens, Projektleiter, Komponist, Texter, Arrangeur, Musiker-Einkäufer, Sänger und Keyboarder, hat sich Großes vorgenommen und das Große anschaulich erreicht. "Not As Good As The Book" ist eine "humorvolle Fantasy-Story", wie im Presseblatt steht, über einen Mann, der sich in der Zeit verloren hat. Es gibt darin diverse Hinweise auf progressive Musik, und auf die Art und Weise, wie sie gestern, heute und morgen gesehen wurde, wird und werden wird.
CD1: Nach einer halben Minute des Warmlaufens (die Keyboards probieren sich in Funk Pop) lädt "A Crisis In Mid Life" zum Tanzen und Schunkeln ein. Arme und Beine wollen von allein los, der Song ist ein Mix aus Diskomusik (Keyboards), groovigem Funk-Prog (Rhythmus) und harmonieseligem Melodie Rock (Arrangement). Ist gewöhnungsbedürftig, hat aber auch gute Bestandteile: ein bemerkenswertes Gitarrensolo macht den Äther weit, Tillisons tolle Stimme auf guten Gesangslinien lädt zum Verweilen ein. Im Instrumentalpart nach 4 Minuten hat sich der Symphonie Prog wieder gefangen, das Diskodings kommt aber noch einmal mal wieder.
"Lost in London Twenty Five Years Later" hat diesen grandiosen Canterbury-Hang mit schön jazztriefender Instrumentalpassage, schön gemacht. "The Ethernet" beginnt sphärisch-balladesk, baut sich toll arrangiert auf und wird zum fabelhaften, typisch britischen Bombast-Prog. Wieder einmal: Tillison singt wie ein Gott, diese melancholische Note in seiner Gesangsintonation, die Gesangslinie, die dezente Zurückhaltung und energische Vorpreschung, also die Verdichtung der Dynamik - das kommt in dieser Form nur von der britischen Insel. Sehr schön!
Mit Ach und Krach geht der Song über 10 Minuten, ebbt aus und lässt das folgende, leicht und locker gespielte, kraftvoll rockende "Celebrity Purée" schön krachen. Prog-Porno in Reinkultur, alles dran, was dran sein muss, jeder einzelne Ton sitzt perfekt und Komplexität ist die Sonne, die über allem lacht. Danke!
Der Titelsong daraufhin ist ebenso ein dynamischer Symphonic Rocker mit schön aufwendiger Gesangslinie (dieses Wort, gelle?!). Witziger Text, jazziger Canterbury-Touch, klassisch-progressiver Instrumentalspaziergang - erhaben und beeindruckend. Auch die beiden letzten Tracks, "A Sale Of Two Souls" und "Bat Out Of Basildon", sind wohlgestalte Prog-Songs mit ansprechenden instrumentalen Läufen.
CD2: Die Adjektive von CD 1 können hier komplett übernommen werden. Der Symphonic Prog mit Canterbury-Versatzstücken ist kunstvoll aufgebaut und hat vitale Instrumentalparts, die nicht ungemein komplex aber harmonisch vielschichtig aufgebaut sind. Es gibt ausführliche Lyrics in den diversen Parts, die im Wechsel aus kraftvollen und melancholischen Motiven ansprechend aufgehen. Es braucht einige Durchläufe, diese Fülle komplett in sich aufgehen zu lassen. Hier entdecke ich partiell Parallelen zu späteren Pink Floyd, vor allem im Gesang, auf CD 1 wähnte ich, eher Genesis als Vorbild wahrgenommen zu haben (als erste Inspiration neben den vielen anderen, etwa Van der Graaf Generator in "Safe Of Two Souls").
"Not As Good As The Book" ist ein solides, ansprechendes Album, kein Überflieger. Runde Sache, wohl und rundum gelungen, aber nicht spektakulär. Andy Tillison geht seine Experimente mit Vorsicht an, es gibt keine gewagten Sprünge in harte oder schräge Bereiche. Der symphonische Anteil baut auf stete, groß angelegte Keyboardpräsenz, die Harmonien sind den Ohren angenehm, Ecken und Kanten sind die Ausnahme. Gewiss gibt es viel komplexe Musik zu hören, die aber auch stets gut abgefedert ist.
Die harte Vitalität früher Genesis-Epen wird längst nicht erreicht und auch die Canterbury-Motive bleiben in Jazz, Härte und Abstraktheit weit hinter den Originalen zurück. Jeder Ton ist runder und eingängiger als der seiner Vorbilder, wie das im Progressive Rock heutzutage halt so allgemein üblich ist.
Dennoch: ein gutes, ein aufwendiges Werk. Tillisons Stimme auf guten Pfaden (um es mal anders zu sagen...) ist ein echter Hinhörer. Peace and Love, Leute - and Rock'n'Roll!

thetangent.org
VM



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