Spock´s Beard "Feel Euphoria" (Inside Out 2003)

Wohl kein anderes Album wird derzeit im Progressive Rock so nervös erwartet, wie das neue von Spock´s Beard. Zu Nervosität gibt es genug Anlass, ist die Band doch in der Vergangenheit bereits von Album zu Album stets poppiger geworden, hat sich von den progressiven Wurzeln entfernt. Nun haben sie ihren Songwriter verloren, ihren Sänger und Vordenker, und damit ihren typischen Ausdruck. Doch die verbliebenen Alan Morse, Ryo Okumoto, Dave Meros und Nick D´Virgilio sind mit allen Wassern gewaschen. Die Musiker wissen genau, was sie tun müssen, um ihr Publikum zu begeistern. Und so kommt, innerhalb einer recht kurzen Frist nach dem Abgang von Neal Morse, am 30.06. ein neues Album auf den Markt, das zuerst zwar einen Schock auslösen, aber dann um so mehr beruhigen wird. Gewiss, Spock´s Beard sind keine "reine" Progressive Rock Kapelle mehr. Jeder ihrer Songs geht weit in radiotauglichen Rock/Pop. Aber genauso hat jedes Stück auch progressive Elemente, einige gar, die vorher nicht denkbar waren, wie etwa ein gigantisch gutes Gitarrensolo im Titeltrack, die teilweise brutale Härte (die als Kontrapunkt zu den melodisch süß-weichen Teilen auch bitter nötig ist) und die fast völlige Loslösung von ihrem Sunshine-Beach-Feeling, das sie stets so lässig transportierten. Die Kompositionen und Arrangements sind hervorragend, da gibt es nicht zu bemängeln. Die stilistische Orientierung ist das Problem. Jeder Song lebt die flotten Popmoleküle aus, teilweise sind die Ideen sehr süß und geradezu kitschig. Doch plötzlich setzt die Instrumentalfraktion zu einem grandiosen Part an, wo die wirklichen Radiobands längst ausgeblendet hätten. So wird mancher Song über 7 Minuten lang. Ein 6teiliger 20minüter ist auch an Bord, "A Guy Named Sid" ist ein wahres Prachtstück, sehr schön aufgebaut, mit vielen Spannungspunkten, Stille und Extase fließen ineinander. Die melodischen Themen wechseln sich dynamisch ab, auch ein Vokalstückchen im Gentle-Giant-Geist ist eingefügt, nicht ganz so toll wie "Thoughts" von "Beware Of Darkness" und leider sehr kurz, aber schön anzuhören. Spock´s Beard zeigen mit "Feel Euphoria", dass sie im Quartett eigenständig arbeiten können, ohne ihren einstigen Komponisten und ohne Qualitätseinbuße. Nur glatter, einfacher, schlichter, dafür härter ist die Musik geworden. Wie dem auch sei, "Feel Euphoria" wird gemischte Gefühle auslösen. Die Anzahl des Publikums dürfte sich mit der neuen CD jedoch vergrößern, die Mainstream Fraktion wird spätestens jetzt Spock´s Beard entdecken. Und die abspringenden Hardcore-Prog-Freaks sind zahlenmäßig wohl nicht die Welt. Fragt sich nur, ob die gesamte Band mit "Feel Euphoria" und der mainstreamigeren Orientierung rundum glücklich ist.

spocksbeard.com
VM



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