Soft Machine "Switzerland 1974" (Cuneiform Records 2015)


Im Dezember 1973 gingen die runderneuerten britischen Jazzrocker Soft Machine mit neuem Line-Up an den Start. Von der Gründungsbesetzung einzig verblieben war Mike Ratledge (keys); Karl Jenkins (p, sax), Roy Babbington (b), John Marshall (dr) und Allan Holdsworth (g) ergänzten die Besetzung. Jenkins und Ratledge komponierten neues Material, das in der ersten Jahreshälfte 1974 ausführlich in Konzerten in Nordamerika und Europa gespielt wurde. Anfang 1975 wurde das live gut durchgearbeitete Material im Studio aufgezeichnet und auf "Bundles", dem achten Album Soft Machines, veröffentlicht.
Am 4. Juli 1974 trat diese Besetzung auf dem Montreux Jazz Festival in der Schweiz auf, Billy Cobham's Spectrum, Larry Coryell's Eleventh House und das Mahavishnu Orchestra gehörten ebenfalls zum Festival Line-Up. Zeiten waren das!
Soft Machine hatten seit einigen Jahren bereits als Avantgarde Rock/Jazzrock-Band einen international einen hohen Status inne. Mit "Bundles" sank der Stern der Briten aus Canterbury bereits. Zwar folgten später noch weitere Alben wie "Softs" (1976), "Alive and Well - Recorded in Paris" (1978) und "Land Of Cockayne" (1981), dies waren jedoch nur noch Nachwehen einer schnellen kurzen Karriere, die bis heute in immer neuen Inkarnationen (Soft Machine Legacy) in diversen Besetzungen erneut startet und Alben veröffentlicht.
Weitaus mehr Live- als Studioalben wurden unter dem Namen Soft Machine veröffentlicht. Allein Cuneiform veröffentlichte vor "Switzerland 1974" acht CDs, teilweise auf 2CDs, in zwei Fällen samt DVD. Jedes der Cuneiform-Alben stammt aus einer anderen Periode Soft Machines, wurde in unterschiedlichen Besetzungen eingespielt, einziger Festpunkt: Mike Ratledge. "Switzerland 1974" nun ist die erste Live-Aufzeichnung, an der Allan Holdsworth beteiligt war, und die jüngste dieser Aufzeichnungen.
Die 1966 von Daevid Allen (g), Robert Wyatt (dr, voc), Kevin Ayers (b, voc) und Mike Ratledge (keys) gegründeten Soft Machine stammen, anders als andere Jazzrocker (etwa Nucleus, Tony Williams Lifetime, Miles Davis), aus dem Rock. 1967 standen sie vielfach in Londoner Underground Clubs auf der Bühne, wo sie ihre psychedelischen Rockshows gaben und sich mit den ebenso jungen Pink Floyd das Auditorium teilten. Viele Musiker gingen durch Soft Machine, prägten den Sound der Band, ganz besonders etwa Hugh Hopper (b) und Elton Dean (as, Saxello), die beide schon verstorben sind.
"Switzerland 1974" ist das ziemlich genau eine Stunde dauernde Konzert am 4. Juli 1974 in der Kongresshalle in Montreux. Das überwiegende Material, so etwa die lange "Hazard Profile" Suite wurde einige Wochen später in Studio Sessions in London für "Bundles" aufgezeichnet, einige Tracks stammen von den Alben "Six" und "Seven". Aus dieser Phase Soft Machines gibt es bereits (mindstens) zwei eindrucksvolle Live-Veröffentlichungen. "Floating World Live", am 29. Januar 1975 in Bremen aufgezeichnet und von Moonjune Records veröffentlicht, sowie "British Tour ‚75" (MLP Productions).
Und doch ist "Switzerland 1974" ein wichtiges Album. Das Konzert ist auf CD und DVD zu hören und sehen. Das bislang einzige Konzertvideo der Band aus dieser Zeit musste aufwendig restauriert werden. Im mit ausführlichem Text ausgestatten Booklet wird auf den Zustand der originalen Bänder und die Restaurierung eingegangen.
Zu sehen ist eine Band, die mit ‚Show' wenig am Hut hat. Der optische Reiz besteht in der Performance der Musiker, die tief versunken ein intensives Set spielen. Da ist zwar zu sehen, wie Holdsworth und Marshall, um nur diese zu nennen, in der Intensität der Songs und ihres Spiels mitgehen, aber auch, wie erwachsen und quasi bürgerlich (‚gebildet', würde meine Mutter sagen) die Musiker auf der Bühne stehen. Im Selbstverständnis eher ernster Musik und Jazz als Rock zugewandt, ist, was die Band spielt, doch ordentlich rockheftig. Das Songmaterial ist hochkomplex und sehr intensiv, jazztrunken und mit konventionellen Rock-Spielarten (auch der damaligen Zeit) nicht vergleichbar. So klangen und arbeiteten nur die Jazzrocker.
Meines Erachtens nach ist die Montreux-Show ein wenig stiller und lyrischer als das Material auf dem Moonjune Release, nicht von so ungemein hoher Rasanz und Spielhärte, etwas zurückhaltender. Aber nicht ein Stück weniger intensiv. Auf der CD ist der einstündige, 13 Tracks umfassende Reigen sehr kurzweilig. Allan Holdsworth' Gitarrenspiel ist ebenso aufregend wie das enorm grandiose Schlagzeugspiel John Marshalls. Karl Jenkins und Mike Ratledge sind vertieft in die Arbeit. Typisch Ratledge sind kaum Regungen auszumachen, der Mann, die Haare und die Brille verschmelzen mit seinem Instrument, dass man ihn kaum wahrnimmt. Anders Roy Babbington am Bass, der verinnerlicht, aber bewegt vital spielt. Die diversen Soli und Improvisationen aller Beteiligten entführen in ungeahnt dichtes Musikdickicht, das nur enorm beeindruckt und mitreißt.
Auf der DVD geht der vergangene Zeitgeist der 1970er Jahre ganz anders auf als auf der CD. Das Aussehen der Musiker, die Bühne samt Technik, Licht und Aufzeichnung sind ein nostalgischer Reigen erster Klasse, der allein dieses Doppelformat rechtfertigt.
Nicht nur Hardcore-Fans der Band sollen sich angesprochen fühlen. Wer Jazzrock aus seiner hohen Zeit erleben will, kriegt hiermit ein intensives Zeitreiseerlebnis.
Meiner persönlichen Ansicht (doch da stehe ich eher allein da, weil diese Phase Soft Machines für die Hardcore-Fans schon erlöschender Nachzenit ist) nach ist "Switzerland 1974" das wichtigste Soft Machine Album auf Cuneiform Records überhaupt.

cuneiformrecords.com
VM



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