smalltape "CIRCLES" (Philipp Nespital 2011)

Nach Neal Morse ist manches nicht mehr wie zuvor. Etwa die Mischung aus Singer/Songwriter/Popsong und instrumental abgefahrenem Progressive Rock. Gab es vordem so nicht. Smalltape aka Philipp Nespital tritt nicht direkt in NMs Fußstapfen, entert aber in der gefühlten Nähe die Bühne und startet low fi mit dem Aufnahme-Klicken der Kassette im Kassettenrekorder, spielt den ersten einführenden Track auf der akustischen Gitarre, das passt ans Lagerfeuer und ins moderne Zeitgeistpublikum, hat Flair, ohne indes schon die Weite ahnen zu lassen, die sich in Folge auftut. Und da ist vieles zusammen gekommen. Einflüsse sind neben Neal Morse zuerst vielleicht IZZ, und smalltape liegt nicht weit hinter den Maßstäbe setzenden Vorbildern. Nicht was die nachvollziehbaren, liedhaften Songstrukturen der Gesangsparts betrifft, die schon gute Qualität beweisen, und schon gar nicht was die instrumentale ‚Weirdness' bedeutet, die ordentlich Schmackes hat, erstaunlich ins Schräge driften kann, raffiniert Idee ausarbeitet, knackhart rockt und in allem aktuell bleibt, zuhöchst mit einem Zwinkern der Gene, was die 70s betrifft.
Da sind gute klassische Prog-Einflüsse, im besten Fall aus dem Echoerbe Gentle Giants, modern & retroaktuell gespielt, im Höhepunkt toll komplex und rasant vital - das alles hat die One-Man-Band allein eingespielt, lediglich drei Gastmusiker haben ihren erlesenen Anteil dem Konzept zugeführt, Stephan Pankow (g) in zwei Tracks, Michael Zehe (b, voc) und Gustav Scholda (moog) jeweils in einem Song. Es geht von Liedermacherliedgut über Vokalboygroupsound und liedhaften Pop in illustre Komplexretroorgien, sehr gut gespielt und inspiriert, modern und aktuell, klug auf hohem Standard, mit hinreißenden Chorgesängen in vielerlei Charakter und Stilistik, Jazz, Pop und Gentle Giant Vokalart. Überwiegend sind die Songs eher sanftmütig und impressionistisch als intensiv und radikal, trotz der energischen Höhenflüge. Viele lyrische Partien bestimmen das Album und legen sich als zarte Patina aufs zuhörende Gemüt. Die langen Songs, "circles", "the purgatory pug" und "break" sind für Progsüchtige die ersten Adressen, indes sind die sanftmütigen Songs mit weniger Minuten kaum weniger interessant, vor allem, wenn es in die Freiheit der instrumentalen Weite geht und da ist überall Gutes zu erleben.
Die CD kommt, ganz Understatement, schlicht aufgemacht mit nur notwendigen Informationen, der Chef ist nur unscharf vor einem Baumgewölk zu sehen. Nebenbei - oder hauptsächlich - arbeitet PN als Teil eines DJ-Teams das elektronische Tanzmusik (klingt das alt!) spielt und mit smalltape soviel gemein hat, wie das Mammut mit der Gema. "CIRCLES" macht, wenn die Songwritergitarrensongs und liedhaft poppigen Gesangspartien (auch der abgefahrenen Tracks) ihre Arbeit erledigt haben, einen ob der Ideenfülle und Kompositionstiefe überraschenden, und überraschend guten Eindruck. Old School Freaks können sich ihre Parts ausschneiden, wer moderne Eingängigkeit und progressive Komplexlandschaft vereint mag, darf sich auf ein schickes Gesamtteil freuen. Schön, dass dieser Art möglich ist und Mr. smalltape entsprechend inspiriert ist. Will ich nur hoffen, dass seine DJ-Arbeit ihm nicht den persönlichen Geschmack verdirbt. Vermutlich aber wird das den größten Teil seiner Arbeitszeit ausmachen, so dass von Glück geredet werden kann, dass ihm der Musikgeschmack gut gewachsen ist und die Electro-Schiene ihm nicht die Inspirationsgleise verbaut.
Klick. Ans Ende spulen. Kassette umdrehen. Wieder abspielen.

smalltape.net
VM



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