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slagr "short stories" (Ozella Music, 24.04.2015)
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Die ‚file under' Angabe des Labels will: Jazz, Minimal, World, Norway. Ich nenne es Ambient Neofolk mit Jazz-Einflüssen. Die sphärische, tief lyrische Düsternis der Themen und elegische Laszivität der verträumten Moll-Epen ist als deutlich skandinavisch zu erkennen. Der ‚skandinavische Faktor' in Folk, Rock, Jazz, Neuer Musik, überhaupt ambitionierter Musik findet immer wieder Tiefe und Andacht. So auch hier. slagr, in Norwegen lebendes Trio, dessen Name aus dem altnorwegischen stammt und so viel wie Lied oder Melodie heißt, spielen selbstkomponierte, stark die eigene Folklore und das kulturelle Lebensgefühl reflektierende, geheimnisvolle Songs sphärisch epischer Natur, die wenn überhaupt nur wenig Jazz-Bezug haben, stilistisch im Ambient-Bereich aufgehen und harmonische Muster folkloristisch mit einem Bezug zur ‚ernsten', zur Neuen Musik entwerfen.
Anne Hytta schrieb alle Songs und spielt die Hardanger Fiddle, Sigrun Eng spielt Cello, Amund Sjølie Sveen Vibraphon und ‚tuned glasses'. Die Atmosphäre aller Songs ist sehr dunkel mit starker mystischer Note. Das melodische Geschehen ist karg, fast monoton; alles was zu hören, spielt sich um einen wenig ausgeprägten Rahmen ab. Und doch ist der Eindruck alles andere als monoton, alles andere als fad. Die dunkle, einsame Stimmung vermittelt zwar ein düsteres Bild, das jedoch lebhaft und künstlerisch. Wie ein Film, der fremde Szenen beschreibt, den man indes im vertrauten Umfeld ansieht.
Die Hardanger Fiddle tritt enorm präsent auf, gibt klare Harmonien wieder, kann aber ebenso gezogene Noten spielen, was wie der Blues Norwegens klingt. Das Cello wird klassisch gespielt, das Handwerk beider Damen ist als klassisch ausgebildet zu erkennen. Der Anteil des einzigen männlichen Parts, des Vibraphonisten und Glass-Spielers kann kaum klassischen Ansatz zeigen, übernimmt die zum einen am wenigsten auffällige, zum anderen experimentellste Position und unterbaut das harmonisch-melodische Geschehen mit erfrischender Zurückhaltung und die Atmosphäre des Stückes treffsicher ausdrückenden Rhythmus- und warm füllenden Hintergrundarbeiten. Erst im fünften Stück "Blinde-Margit" kommen Vibraphon und Glass (zugleich) solistisch in den Vordergrund, als Intro. Und das darauf folgende "Årolilja", zuerst sehr schwerfällig und minimalistisch, beweist dem Trio ein hohes melodisches und gar fröhliches Temperament. Das hellste, und doch mit dunkler Patina versehene, nuancenreiche Stück lässt aus der Düsternis des 8 Songs beinhaltenden, 48:07 Minuten andauernden Albums aufhorchen. Beeindruckend, wie kurz das lichte Motiv, wie lang das Outro. Zuletzt bricht noch einmal das klare Melodiemotiv durch, wie Sonnenstrahlen durch schwer wolkigen Himmel und die zarte Elegie bekommt Farbe und Kraft, um unvermittelt zu enden, den Zuhörer allein zurücklassend. Hochachtung!
Die sehr ansprechende 72 Sekunden lange Balladen-Sphärik im Anschluss führt zum letzten Song, und dem wird sich keiner entziehen können, der bislang im Bann des umfangenden Albums stand. Ganz leise, dunkel, aber leichter als die Lieder zuvor, dämmert die letzte Komposition wie Nebel dahin. Eher ein Traum als wahre Musik. So schwer, lind, dunkel und tiefsinnig die Musik, so entspannt und fröhlich das Trio im Booklet. Wer so düstere, epische Musik spielt, ist nachher aller Aggression und Last ledig.
Großartig!
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VM
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