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Simon Toldam Orkester: STORK "Bells of Sunday" (Ilk Music, 10.06.2014)
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Das Album Nummer zwei der White Label LP-Serie des dänischen Avantgarde Jazzlabels Ilk Music beinhaltet "Bells of Sunday" des Pianisten Simon Toldam. Die Parallele zur Nummer 1 der Serie: Schlagzeuger Peter Bruun - der hier offenbar mehr zu tun hat, als auf seinem eigenen Album.
Orkester ist vielleicht etwas irreführend. 6 Musiker sind beteiligt: Sture Ericson (as, b-cl), Jimmy Nyborg (tr), Mads Hyhne (tp), Nils Davidsen (b), Peter Bruun (dr) und Chef Simon Toldam (p).
Im Mai 2013 live im Kopenhagener Jazzhouse aufgenommen, enthält das 47:56 Minuten lange Album, die LP, je Seite 5 Tracks, die zwischen 0:52 und 10:17 Minuten lang sind.
Simon Toldam ist - neben seinen eigenen Ensembles - unter anderem Mitglied in Han Benninks Trio, was schon einmal die Orientierung aufzeigt. Diese Jungs machen abstrakten Avantgarde Jazz mit vielen freien Tendenzen. Hier wird Schmackes gegeben. Aus lyrischen Abgründen bauen sich impulsive Kaskaden auf, die von allen Mitarbeitern dynamisch und lebhaft ausgebaut werden. Ebenso donnern und tröten die trotzigen Musiker heftig krasse Stücke, in denen das melodische Gerüst eher unscheinbar, und doch ungemein kraftvoll ist. Die lebhafte Chose lässt hier die Bläser vor, dort dröhnt der Pianist, als müsse sein Spiel alle Elektrik ersetzen, die Pianos so antreiben kann. Während Schlagzeuger Bruun dem Takt hier Antriebsmittel injiziert, baut er dort auf atonale Ensemblemitarbeit, in der er alles tun kann, was er mag, nicht nur Takt unterheben.
Manches Mal geht die Band sehr stürmisch vor, bellt, beißt und spuckt so einen Song wild aus. Die Verrücktheit, diese wundersame Klangsprache zu erdenken und spielen, muss den Musikern auf der Bühne anzumerken gewesen sein. Sieht nicht aus, als seien sie alle nur vertieft ins Spiel, obschon sie einer tiefen Trance entgegenarbeiten, sondern als wirbelten sie mit verdrehten Augen, akrobatischen Tänzen und schrägen Bewegungen auf der Bühne umher.
Vermutlich werden sie still und relativ unbewegt dagestanden haben, Mikrophone vor der Nase, weit entrückt, keine Zeit, kein Raum, kein Publikum, keine Band, nur das gemeinsame Glück, zu solchem Bandsound zu finden.
Schon die komponierte 'Basis' ist kaum schlicht, wenn auch sehr lyrisch und leise, verhalten, dunkellicht, sanftmütig und verspielt. Pianobasiert träumt so ein Song sich ein, bis die Band ins Spiel kommt und alle Lyrik aufbricht, ohne sie zu zerstören. Weite daraus macht, die Töne seziert, extrahiert und in impulsiven Spiel zu neuer Materie aufbaut.
Es ist nicht einfach zu beschreiben, was passiert. Die Mystik ist nur zu hören. Wie gut die 'Songs' funktionieren, ist indes weniger zu hören als vielmehr zu spüren. Der Zuhörer ist Teil des Ensembles, seine Ohren, sein Hörsinn das letzte Instrument des Simon Toldam Orkesters.
Solo- und Bandimprovisationen schwenken die Songs in unterschiedliche Richtungen. Einmal ist es, als rausche ein Beerdigungszug im Stil Albert Aylers vorbei ("Æg lagt af Æg"), taumelig, traurig, ernüchtert und doch ganz lebendig und echt.
Die individuellen Soloausflüge, Improvisationen und krassen Läufe innerhalb der Bandarrangements sind grandios, doch unübertrefflich sind die krassen Schübe, wenn alle Beteiligten ihre Hörner gen Himmel strecken und zu wüstem Lärm anheben, der zwar in Kaskaden irre Radikalität hoch kocht, dabei aber stets im Klang sehr differenziert bleibt und die einzelnen Mitarbeiter erkennen lässt. Schöner Sturm - in allen Tracks, nicht nur dem kurzen "Ild i hovedet", wo es sich richtig zur Sache geht, und die Band so schnell am Ende ist, dass das kaum zu glauben ist.
Noch einmal!
B-Seite. LP umdrehen. Neuer Anlauf. Düsteres Pianospiel. Doch die Band ist noch aktiv und setzt bald ein. "Bells of Sunday" ist das längste Stück. Hier werden die Glocken geläutet, dunkle Stille ausgearbeitet, die Atmosphäre zu Beginn hat Krimicharakter: die manisch düsteren Pianofugen, immer auf den gleichen Bassnoten, die kratzig schwebende Band darüber, die neoklassischen Disharmonien, die epische Weite, das Bewusstsein der lang ausgeführten Komposition mit ihrer Möglichkeit und Arbeitsintensität. Die Klarheit der kraftvollen, erwartungsfrohen Komposition ist enorm. Der Einsatz der Band bleibt eher unterschwellig, wenn es auch keinen Instrumentalisten gibt, der sich zurücknimmt. Sie drücken sich nicht in lichten wilden Höhen aus, sondern in düsteren Höhlen und Kammern. Bis zuletzt ein abschließendes Thema die Basslinien aufnimmt und zerbröselt, um die neutönerische Klassikdominanz zu erhöhen. Trotz der Jazzinstrumente.
Das folgende "Røg", nur unglaublich kurze 1:03 Minuten, besser 63 Sekunden lang, zeigt die Band von seriöser, leidlich seriöser Seite. Die Melodie wird kaum zerarbeitet, nur gering improvisiert, sehr konzentriert und brav bleibt die Band, was faszinierend Charakter hat. Jazzmusiker, die sich, auf der Bühne, brav in die Schlange stellen, um ihr Essen zu bestellen.
Etwa so.
Das reicht so. Dann arbeiten sich dunkle Flächen aus, sehr abstrakt und krass, mit harscher Note, trotzdem lyrisch, niemals brav, sehr emotional und dennoch von klassischer, neuklassischer Note. Europäisch!
Im 52 Sekunden langen "Rift Igen" spielt die Band bulgarisch anmutenden Zirkus-Prog mit Verve und guter Laune. Lustig, so ein straffes Arrangement, die vitale Band - die können alles. Wollen aber gleich wieder ins schräge Fach. Zuletzt phrasieren und diskutieren sie in "Kolibri Fantasi" in ironischem Ton miteinander. Sehr witzig! In allem aber eher dunkel, nachdenklich und fast dramatisch mit neutönerischer Note.
Welche Wucht! Alle diejenigen, die das Konzert live sahen, werden sich ungeduldig auf diese LP freuen. Alle anderen dürfen diesen Schatz entdecken und sich ungläubig fragen, wozu der kreativ inspirative menschliche Geist in der Lage ist.
Musik - hat kein Ende.
whitelabelseries.dk
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VM
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