Simon Steensland "A Farewell To Brains" (Altrock 04_2015)


Der große Unbekannte, von dem kaum etwas bekannt ist, der sich im Umkreis von Mats & Morgan tummelt und ansonsten wohl nur in Schwedens Urwäldern haust, Simon Steensland, erfreut die Avantprog-Gemeinde alle paar Jahre mit einem neuen Statement in Sachen düsterer, radikaler, Zeuhl- und Jazz-beeinflusster Progressive-Rock-Kunst.
Ein paar Bekannte hat der Keyboarder, Bassist und Vibraphonist an Bord, etwa Morgan Ågren (dr), Robert Elovsson (Klarinette), Guy Segers (b, voice) - und viele weitere, 20 Musiker zählt Simon Steensland auf, die neben ihm die Realisierung des Projektes betrieben.
Und die Chose ist gelungen. 5 Tracks sind auf diesem, seinem achten Projekt zu finden. 52:30 Minuten sind durch drei überlange und zwei kurze Tracks ausgefüllt. Und wahrhaft ausgefüllt. Zwar gibt es Gesang, lautmalerischen Gesang, aber gewiss keine Songstruktur wie in der allgemeinen Popmusik. Hier ist nur ausgefallenes, radikales und vor allem ‚schräg' zu nennendes Musikgut zu finden, das aus Progressive Rock düsterer Spielart, Jazz, Zeuhl, Neuer Musik und Simon Steensland gebaut ist. Epische Passagen entspannen ihren sensationell spinnerten Faden, verdreht komplexe Orgien fallen übereinander her, traumatisch harsche Lyrikschübe überwälzen sich. Disharmonien schwelgen in schöngeistiger Dramaturgie. Es herrscht lebhafte Stimmung vor, wie sie die Adams-Family liebt, wie ganz natürliche Monsterfamilien sie betreiben, liebevolles Chaos voll stürmischer Attribute und schwunghafter Attitüde. So schwer, dramatisch und düster die Musik an sich ist, steckt in dem Ganzen doch ein ordentlicher Klotz schwarzen Humors, der dem Reigen die böse Last nimmt und kunstfertige Atmosphäre unterhebt. Wie kann anders verstanden sein, dass eine wie geisteskrank arbeitende Stimme neben der (relativ nüchtern musizierenden) Band zu hören ist, niemand vor Aurelia Le Huche Angst bekommt, sondern nur mehr von diesem schrägen Zeug will?
Der letzte Track "the idiot" ist mit über 17 Minuten Spieldauer das umfangreichste Stück Musik auf der CD. Das Klavier klingt, als sei es aus der Titanic geborgen, die Damenstimmen scheinen von Personen zu kommen, die am dunkelsten Ende des Grundstückes hinter Bäumen stehen und im Dämmer ihres Daseins die unglaublichsten ‚Gesänge' zelebrieren, bis die Damen zusammen tatsächlich einen Chor erfinden, der echte Musik macht. Dazu stammelt die Band ihren düsteren, basslastigen Zeuhl-Prog auf symphonischer Basis, gebrochen, dramatisch, rhythmisch fragil und ständigen Brüchen, Wechseln und Radikalisierungen wie epischen Eindämmungen unterworfen. In dieser Musik passiert so viel, dass dem geneigten Hörer nicht die edelweißen Zähne vor Langeweile aus dem Mund fallen und das gepflegte Haupthaar eitle Gedanken ob seiner Schönheit hegt.
Musik aus dem Steensland-Universum ist das Besondere des Jahres. Es gibt keinerlei Anbiederung an den Zuhörer, diese Welt will erobert werden und stellt ordentliche Hürden auf. Zudem ist "A Farewell To Brains" im gleichen Geiste und Stil aufgebaut, wie die Vorgängeralben. Wer also meint, eine CD dieser Art reicht ihm/ihr, der wird Simon Steensland nie verstehen (und die Frage bleibt, ob Steensland schon da angekommen ist, wo er sich verstehen kann - - -).
Und einen anarchisch schrägen Düster-Kosmos verpassen.

simonsteensland.com
altrock.it
VM



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