Shinsekai "Shinsekai" (Poseidon Records 2007)

Schon so manche Band aus Japan hat sich als Truppe mit Sinn für das Extravagante, Ausgeflippte erwiesen. Zwar liegen Shinsekai da nur im Mittelfeld, aber immerhin, auch dieses Quartett liebt es, Songs zu spielen, die wild und leidenschaftlich, erheblich schräg, heavy und ausgefallen sind. Shinsekai zeigen ein ganz besonderes Merkmal: jedes der 8 Stücke auf der CD scheint von einer anderen Band eingespielt zu sein, so sehr geht das Material stilistisch auseinander.
Das eklektische Werk beginnt mit der halbminütigen Computersequenz "I Talk To The Door", das neben dem Namen auch im Klang an King Crimson erinnert. Das sich anschließende "1000 Days Before part I" rockt mordsheftig, als wären 1974er King Crimson mit einem tief wirkenden Virus 2003er King Crimson angesteckt worden. Die instrumentale Note lebt von Frippschem Gitarrensound und echtem Mellotron. Grandioses Stück, wenn die CD so weitergeht, kann mit dem Erfolg in der Szene nichts mehr schief gehen. Aber es geht schief.
Der Titeltrack ist eine Ballade, die aus französischen Chanson, psychedelischer Mystik und liedhaftem Pop gemacht ist. Der Wechsel von Song 2 zu Songs 3 ist krass, bleibt aber keine Ausnahme. Zwar bricht die gelangweilte Lyrik des Songs hin und wieder auf und die Band fängt an, leicht zu rocken (röckeln, sozusagen…), ohne aber nur ansatzweise die Intensität des Vierminüters zuvor zu erreichen. Ganz im Gegenteil ist dieser Titeltrack einfach kitschig und schrecklich rührselig.
Sodann gibt es in "OCAT" wieder Mellotron, die Band zeigt die Wunde von eben verheilt und gibt sich, wenn auch gelassen, wieder intensiverer Musik hin. Die 7 Minuten sind allerdings etwas zäh und minimalistisch, da passiert nicht wirklich viel. Obschon ganz interessant, geht die crimsoneske Idee in ihrer Einfältigkeit nicht auf. Danach gibt's wieder hartes Zeug auf die Ohren. Die 3 Minuten von "All or Nothing" sind ganz nett, es rockt schräg, ohne aber das große Vorbild, das stets auszumachen ist, in Intensität und Komplexität zu erreichen. Die beiden Teile von "Riviere of Life" geben dem Mellotron viel Raum. Grandiose 8 Minuten tun sich hier auf, wild, extravagant, selbstbewusst und schräg rockt die Combo, das wird immer ausgefallener und radikaler, lauter und avantgardistischer, bis der zweite Teil als blumige Note aus den Boxen tropft. Mellotron zart mit akustischer Gitarrenbegleitung, sehr hübsch - und angenehmer Weise gar völlig kitschfrei. "Nishinari Skidrow" ist Hardrock alter Schule, laut, wild, unbeherrscht, kommt gut und würzig aus den Boxen. Im späteren Verlauf der 6 Minuten tauchen auch wieder King Crimson auf, am Horizont kratzt das Mellotron seine Symphonien in den Raum und die Gitarre arbeitet sich schräg durch den freitonalen Raum.
Die CD erscheint mit einer weiteren Scheibe, einer Flexi Disc in einer großen Box. Shinsekai arbeiten ungewöhnlich und eklektisch, aber doch sehr interessant. Bis auf den Titeltrack, der zum Weghören ist, trifft die CD genau den Nerv. King Crimson Fans werden erfreut sein, und wer auf abgefahrenen, schrägen Prog mit einer dicken Dosis Lyrik steht, wird die Platte lieben. Harmoniesüchtige werden dem nix abgewöhnen können und dürfen solange halt flache Steine über das ruhige Wasser schießen.

poseidon.jp
VM



Zurück