Setna "Guérison" (Soleil Zeuhl 2013)

Die französischen Zeuhl-Wissenschaftler Setna ließen ihre Anhänger ganze sechs Jahre auf das Follow-Up zum Debüt "Cycle I" warten. Und das Warten wird mit einem Jazzrock-Meilenstein belohnt, der trotz der langen Zeit, die seit dem Debüt verging, stilistisch gleich geprägt ist und die hohe Qualität des Erstlings weiter trägt. Personell hat sich einiges bewegt, um Kopf und Komponist Nicolas Candé (dr, g, key) sind Christophe Blondel (b), Benoît Bugeïa (Rhodes, p), Yannick Duchene (voice) und Florent Gac (org) als feste Mitglieder gelistet, unter den sieben Gästen taucht Benoît Widemann (minimoog) auf, einst bei Magma am Synthesizer und mit eigenem Album "stress!" für Keyboard-betonten Symphonic Zeuhl-Jazzrock bekannt. Setna listen mit Julien Molko (b-cl) nur einen Gast als Bläser, dafür ist mit David Fourdrinoy ein hinreißend arbeitender Vibraphonist am Space Bord.
"Guérison" enthält drei Konzepttracks, die jeweils in einzelne Parts untergliedert sind, sowie drei Bonustracks, insgesamt kommt das illustre Album auf eine Spielzeit von 57:03 Minuten. Das Konzept des Debüts wird mit "Cycle II" (9:52) abgeschlossen, und schon hier zu Beginn ist die hohe Intensität und dynamische Energie zu erkennen, die das ganze Album ausmacht. Setna unterscheiden sich deutlich von Magma. Die lautmalerischen Gesänge sind jazzgeprägt und bauen nicht auf stakkative Muster wie die des Zeuhl-Urhebers Vander. Die ersten, alten Magma waren erheblich härter und radikaler in ihren Alben, Setna sind dafür jazzlastiger, intensiver, erstaunlich Canterbury-nah und ‚instrumentaler'. Die einzelnen Kompositionen haben tief wirkende Melancholie und balladeske Sanftmut, ohne schlicht oder mild zu sein. Die instrumentale Struktur, von Keyboards und Gitarren geprägt, erstklassig in der vital und energisch, dabei komplex und straff organisierten Rhythmusabteilung, begnadet von Mallets unterstützt und lautmalerischem Gesang, teils als Chor in symphonisch elegischer Instrumentalbegleitung, unterhoben, ist dynamisch und lebhaft, wenn auch stets nachdenklich und eher wissenschaftlich tiefsinnig als dramatisch ackernd.
"Triptyque", 26:16 Minuten lang und in drei elegische Parts untergliedert, die wiederum in einzeln anwählbare kurze Tracks gesplittet sind, indes ohne Pause fließend durchlaufen, baut die elegischen Teile frappierend elegant auf, lässt Scat-Gesang Minuten prägen, in denen die Band fast minimalistisch pulsierende Energie ausbaut (und das Sternenschiff in die Unendlichkeit zieht), so dass ein gewisses Space Rock Gefühl aufkommt, das sich allerdings aus Jazzrock und symphonischer Komplexität speist, und nicht aus stoisch stetigen Rockthemen. Immer wenn Setna sehr leise werden, etwa in "Triptyque part III", als Meditation gedacht, wird der Sound sehr intensiv und hinreißend, hypnotisch fast und von einer Stille und Lyrik, die nur grandios sind. Und wenn auch "Trityque part I" Roger Hodgson gewidmet ist, so ist selbst die größte Sanftmut und melodische Schöngeistigkeit nicht im Ansatz mit den Sonnenscheinpoprockern Supertramp zu vergleichen. Setna sind Jazzrock ganz und gar.
Der Titeltrack (14:58) ist der Parasit, der für das Prinzip steht, den Prozess der Heilung, stete Reorganisation und Neustart. Das Thema muss sich erst finden, in langem psychedelischen Auftakt, der an frühe Pink Floyd denken lässt und in den Keyboardsounds aus den Endsechzigern aufzusteigen scheint. Daraus entwickelt sich ein quasi minimalistisch in sich pulsierendes Thema aus Keyboards und Schlagzeug, über dem harmonischer Gesang steht, dessen ‚Wortlosigkeit' fast wie echter Text wirkt. Über die weite Strecke fährt "Guérison" stark auf, um in großer Epik mit Gitarren- und Synthesizersolo lang auszuschweben.
Im Übrigen ist die Bass-Arbeit EXZELLENT! Gleich zu Beginn des Albums donnert der heftige Bass das erste Thema gut auf, und selbst in für den Bass eher unauffälligen Passagen ist Christophe Blondels Einsatz herausragend und für den Song stets von großer Bedeutung.
Viel zu schnell beenden die beiden Bonustracks ("Le parasite" als Ausschnitt aus dem Titeltrack mit anderer Schlagzeugarbeit sowie "Hymne au soleil") das ungemein intensive und in sich gekehrte Album.
Fürwahr steht in den Songs die Atmosphäre, die in Science Fiction Filmen in Raumschiffen zu spüren ist: Zeitlosigkeit, Raumleere, Entfernung von allem, schier endlose Reisezeit ohne zeitlich greifbares Ziel - wie die Schwebe zwischen Sein und Nichtsein. Die Epik und Tiefe der Musik wirken fast philosophisch, als gäbe es eine Botschaft, die Setna der Welt mitzuteilen haben. Nun, haben sie ja auch: musikalisch.
Nur unbedingte Empfehlung für diesen grandiosen Zeuhl-Space-Jazzrock. Für mich persönlich bislang das beste, interessanteste Album in 2013.

sesame7.free.fr
soleilzeuhl.com

VM





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