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SBB "Four Decades" (Metal Mind Productions, VÖ: 28.01.2008)
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SBB ist ein polnischer Rockklassiker, ein Fels in der Brandung nicht nur der polnischen Rockmusik. Sie haben viele Alben veröffentlicht, die jetzt allesamt digital remastert wurden. Vor ein paar Jahren gaben SBB, unterstützt von Metal Mind Productions, eine 22(!)-CD-Box heraus, neben allen offiziellen Alben und vielen unveröffentlichten Konzerten gab es allein 80(!) Bonustracks zu hören - und nicht wenige davon sind weit über 10 Minuten lang. Damit nicht genug, folgten zwei weitere CD-Boxen mit jeweils "nur" 9 CDs, Live-Aufnahmen aus allen Jahren der Bandgeschichte, in schlechterer bis sehr guter Soundqualität. Es gibt auch bereits DVDs von SBB, mit Aufnahmen von 1978 bis 2002 (wenn ich jetzt richtig liege).
SBB haben in ihrer langen Bandgeschichte mit diversen Größen auf der Bühne gestanden. Mit Bob Marley (mit dem sie 1978 das Roskilde Festival als Co-Headliner bestritten), mit Soft Machine, dem Mahavishnu Orchestra, der Charles Mingus Dynasty, Jack Bruce Group, Thin Lizzy, Canned Heat, Omega, Klaus Schulze - das lässt sich beliebig fortsetzen.
Das ‚Ehepaar', wie Józef Skrzek meint, er selbst (keys, b, voc) und Apostolis Anthimos (g, dr) sind die treibenden Köpfe in der Band, schon immer gewesen, wieder und immer noch. Als neuer Schlagzeuger ist der Ungar Gabor Nemeth zur Band gestoßen, der wohl in allen größeren Bands der ungarischen Szene getrommelt hat und seine festen Plätze in Scorpió und P. Mobil hatte. Das letzte Studiowerk, 2007 veröffentlicht, war die erste Zusammenarbeit mit Nemeth.
Mit "The Rock" gingen SBB auf Tournee. Zufälliger ;-) Weise lag am 19. November 2007 das mit traumhafter Kulisse und erstklassigen Technikern ausgestattete Wyspia?ski Theater in Katowice auf dem Weg, so gaben SBB auch hier einen Gig, der aufgezeichnet wurde und nun einen Großteil des DVD-Programms bestreitet.
Die DVD: das Bild, die Kamerafahrten, die Bühnenausleuchtung, Hintergrundvideos, der Aufbau der Instrumente - das alles ist erstklassig und perfekt gelungen. Die gestochen scharfen Bilder, grandiosen Bildausschnitte, kräftigen Farben, Lichtnebel - was Besseres kann sich eine Band eigentlich nicht wünschen! Aber nicht nur die Bildaufzeichnung ist spektakulär, ebenso der Bildmix, die auf die Musik eingehende Schnelligkeit beziehungsweise Langsamkeit der Kamerafahrten, die Bildwechsel auf die solierenden Musiker oder der weite Blick vom obersten Rang in das fast schon mystisch beleuchtete Bühnenbild: dafür gäbe es den Prog-Oscar, wenn es den Prog-Oscar gäbe!
Die Tonqualität entspricht der Bildqualität. Der Klang ist klar, rund, sauber, farbig und fett, die einzelnen Instrumente kommen sehr gut hervor, auch das ist perfekt.
Zudem: es gibt auf der DVD massig Bonusmaterial, ausführliches Bonusmaterial. So zum einen ein zweites ganzes (!) Konzert, noch mit anderem Schlagzeuger, Irek Glyk, und zweitem Gitarristen, Slawomir Piwowar, letzterer auch ein Großer der polnischen Rockszene, der bereits einige Male mit SBB aufgenommen und auf der Bühne gestanden hat. Aufgenommen am 24. Februar 2006 ist der Gig kürzer ausgefallen als der von der "The Rock"-Tournee. Damals supporteten SBB Deep Purple in der Spodek Hall in Katowice.
Die DVD hat ein sehr gutes Menü, alles ist schnell erreicht, der Sound ist blitzeschnell von 5.1 Dolby auf 2.0 Stereo umgeschaltet und zurück.
Nicht nur in den ausführlichen Interviews gibt es englischsprachige Untertitel, auch in den Ansagen zwischen den Konzerttracks, die man wegschalten kann, wenn man will.
Die Interviews sind interessant, vor allem das von Schlagzeuger Gabor Nemeth, es gibt hier einen Einblick in die ungarische Rockszene und die Verbindung zur polnischen. Ein (gutes!) Stück Ostblock-Rockgeschichte.
Weiter wären aufzurufen: Biografie der Band, umfangreiche, detaillierte Diskografie, Photogalerie, Webseiten. Das komplette DVD-Programm ist etwa 215 Minuten lang. Hier stimmt nicht nur die Qualität, sondern auch die Quantität.
Das Konzert am 19. November 2007 fährt 15 Stücke auf, viele darunter sind sehr lang, wie üblich bei SBB. Sämtliche Stücke sind in neuen Arrangements gespielt worden. Die Klassiker der Band sind kaum wieder zu erkennen. Mancher Song, der früher wild, hart und jazzig war, klingt nun episch, ambient, sphärisch. Vor allem das Gitarrenspiel zeigt sich verändert. Die Lautstärke ist weit zurückgefahren, Apostolis Anthimos spielt nicht mehr hart, wild und wie verrückt schnell, sondern intuitiv leise, intensiv und spannend. Die Songs haben damit zwar an Rockhärte verloren, gewinnen aber einen ganz neuen Ausdruck, der viel melancholische Lyrik in die dynamischen Klassiker bringt. Schlagzeuger Nemeth zeigt sich allen Herausforderungen gewachsen, zwar sieht er stets etwas unbeteiligt aus, wie er da so locker hinter seiner Schießbude sitzt, aber außer Faxen bliebe ihm auch nichts neben dem Drumming zu tun. Sein ausgiebiges Solo klingt zuerst etwas trocken und nüchtern, gewinnt aber im weiteren Verlauf an Spannung und Vitalität, und sobald Anthimos als zweiter Schlagzeuger am zweiten Schlagzeug einsteigt, gewinnt das Duo-Solo erneut.
Kopf und Haupt der Band ist seit je Józef Skrzek, der sein umfangreiches Keyboardensemble zu langen improvisativen Ausflügen ebenso nutzt wie den Bass, mit dem er in langen Hardrock-Passagen die Gitarrensoli von Anthimos untermauert.
Insgesamt, und das ist eigentlich erstaunlich, denn die CD zur Tournee, "The Rock", ist ein kraftvolles, hartes Rockwerk, ist die Konzertperformance eher in sich gekehrt, von großer harmonischer Dichte in symphonisch-ambienten Exkursionen. Dennoch ist von langer Weile keine Spur auszumachen. Die Musik in dieser spielerischen Intensität, transportiert über die beiden sehr guten Tonvarianten und die grandiosen Bilder ist eine wahrhaft angenehme und kurzweilige Sache. Aktive Musiker werden wohl mit einem rumpeligen Neidgefühl die Performance sehen und sich nach Katowice wünschen. Es gibt viele Musik-DVDs und viele Konzerte darauf sind durchschnittlich bis gut aufgezeichnet. Die Crew in Katowice arbeitet hingegen meisterhaft und weiß alle Nuancen der technischen Möglichkeiten kreativ und passend zur Musik auszudrücken. Die Ehre gebührt nicht nur SBB als Band allein. Ebenso viel Applaus verdienen die Mitarbeiter im Hintergrund, die den Film in dieser enormen Qualität überhaupt erst möglich gemacht haben. Meine Hochachtung!
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