Robert Webb "Liquorish Allsorts" (Seacrest Oy and Garden Shed Music 2014)


Der Titel sagt es bereits: hier gibt es beschwipstes Zeug aller Arten. Der ehemalige England-Keyboarder und aktuelle Samurai of Prog-Mitarbeiter Robert Webb spielte in den 40 Jahren nach England allerhand Songs ein, die zwischen eingängigem Poprock, rockmusikalischen Klassikvertonungen und Symphonic Prog ein breites Spektrum aufmachen, oftmals überzeugen und in manchem Fall seltsame Fragezeichen zurücklassen.
Nach dem halbminütigen Keyboardauftakt, der auf der Abenteuerspielkonsole treffend platziert wäre und dem etwas öden "Why Oh Why", der noch nach Prog klingt und schon ganz Pop ist, die schnell überstanden sind, folgen schräge, harmlose, symphonische und Popsongs, die rein handwerklich allesamt gutes Material sind, indes als Basis lediglich Robert Webbs Handschrift als Keyboarder haben, will sagen, vieles erinnert an England, und manches ist auch so gut.
Da wäre neben einigen klassischen Kompositionen von Bach, Daquin und Orff das klassisch anmutende "Moog Fugue" von Kerry Minnear (Gentle Giant) aus dem Jahr 2013, das recht fröhlich klingt und in seinen 4 Minuten nicht langweilt. Gleich darauf das grauenvolle "Grand Canyon" aus dem Jahr 1979 mit Damengesang und Orchesterstreichern, zwar kein wirklicher Schlager, aber nicht weit davon aus dem Ei geschlüpft. Das 8 Minuten lange "Limoncello" (auf dem neuen Samurai of Prog-Album enthalten) ist Symphonic Rock in Reinkultur mit starken England-Trademarks.
"Bach Flute Sonate Allegro" darauf ist blasser als Ekseption, schrecklich blass, was hat sich der beteiligte Schlagzeuger dabei nur gedacht! Auch "The Cuckoo" bringt ein Wechselspiel aus Hinreißen und Widerwillen. Die flotte Komposition aus dem Jahr 1735 tendiert hier zu Disko, da zu Rock, setzt auf Space Rock und symphonische Elemente, um wieder zu stampfendem Diskosound der Endsiebziger zu werden. My dear, heute nicht, ich habe Kopfschmerzen!
"Destiny" im Anschluss ist erwähnenswert, lustiger Weise sitzt da Jode Leigh am Schlagzeug, alter England-Kollege. Toller Song, eindrucksvoller Gesang, dessen bester Part die Kopfstimme im Refrain ist. Carl Orffs "O Fortuna" ( aus "Camina Burana") aus der gleichen Session wie der vorherige Track ist kein Vollunfall, obwohl die Welt wohl nicht weiß, was sie mit dem Ding von Interpretation soll!
"Takin' Part" ist 1974er Gitarrenrock der schlichten Machart, wie er zu der Zeit pausenlos im Radio lief und der Refrain lässt die Ohren gefrieren. "Quaterfoil" schrieb Robert Webb selbst, die kurze Nummer erinnert an Alte Musik (etwa Bach) und öffnet dem Disko-Symphonic-Rocker "Liquorish Torpedo" die Türen. Cooler Song, echt nett und längst nicht blöd. Damit wären England beim Mainstreampublikum Lieblinge gewesen. In "Oceans Away" singt Jenny Darren noch einmal. Mhm. Gute Stimme, aber nichts als Popquerschnitt.
Zum Glück ist die kurze Nummer schnell am Ende und die nächste Symphonic-Diskonummer ist dran. 1979 war ein seltsames Jahr!
Zuletzt gibt es mit "The Ladies' Valley" einen aktuellen Song, in dem wiederum Jenny Darren singt. Dieses Mal allerdings ist der Anteil der Vokalarbeit betörend, der Refrain wirkt wie Likör. Zudem Camille Saint-Saëns' "Aquarium" im instrumentalen Anschluss - alle Achtung, hier sitzen die romantischen Tränen fässerweise. Wer es zart mag, kann tief einstippen.
Insgesamt ist die Vielseitigkeit der 63:43 Minuten etwas arg strapaziös. Trotzdem sind einige der Songs sehr unterhaltsam. Historisch gesehen ist die CD sowieso interessant. Hier ist nachzuhören, was der Progheld nach seiner Zeit als Progheld so getrieben haben. Über Jahre, Moden, Stile, verschwindende Haarlängen und Faltenwerdung des Antlitzes muss der Tag genutzt werden, kommen Ideen, werden Songs eingespielt. Und der Klassikliebhaber Robert Webb hat, trotz einiger (böser) Ausfälle, seine Sache hier und da ganz gut gemacht.
"Liquorish Allsorts" macht vielleicht nicht gleich besoffen, einen netten Schwips kriegt man hier indes allemal.

gardenshedmusic.com
seacrestoy.com
VM




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