Ritual "The Hemulic Voluntary Band" (InsideOut Music, VÖ: 31.08.2007)

Das 5. Album der schwedischen Folk-Progrocker Ritual hört sich an wie ein meisterhaftes Debüt. Kompromisslos, ganz auf die hundertprozentige Erfüllung des Wunsches orientiert, genau die Musik zu spielen, von der die Band überzeugt ist, kein Schielen auf potentielle Fans, die man einfangen könnte, wenn man dieses Leichte spielen, jenes Schwere weglassen würde, oder einfach diese hügelige Komplexlandschaft einebnet, so dass man weit über die Ebene schauen und sich der zartbunten Blümlein am Wegesrand erfreuen könne. Nein. Dieser Fluss ist nicht begradigt, dieses tiefe Tal nicht zugeschüttet, dieser Wald nicht gelichtet worden. "The Hemulic Voluntary Band" ist eine Herausforderung, ein gutes Album.
Für den die CD eröffnenden Titeltrack bekommen Ritual den Gentle Giant Orden in Silber vom Prog Obermeister aus Beutels End. Die Laudatio ist bewegend. Das Publikum raschelt mit Taschentüchern, jemand schneuzt.
Wahrhaft, dieser Opener ist ein starkes Stück. Komplex im Geiste Gentle Giants. Vertrackt, rhythmisch wie harmonisch. Vital; und hart, für eine Folkrockband.
Das zweite Stück ist etwas milder, was die Komplexität angeht, nicht milder jedoch, was Druck und Dynamik angeht. "In the Wild" hat Kraft, rockt, ist forsch und wohl arrangiert. Zwar ist die Komposition an sich deutlich schlichter, aber nicht billig, und schon gar nicht blöde.
"Late in November" ist eine folkloristische Ballade, die wieder mit Gentle-Giantesken Motiven aufwartet. Dieses Mal mit dieser hinreißenden Vielschicht der mittelalterlichen Folkloreakustik. Wahrhaft schön. Und wie die Stimme Patrik Lundströms darauf schwimmt. Grandios!
"The Groke" wurde gewiss im tiefen Verlies eines Schlosskellers aufgenommen. Düster und mystisch ist die Figur, die von Gnomen und Kellergeistern begleitet, wie ein kaputter Zirkusreigen uriger Gestalten anmutet. Hört das Stück laut. Und sackt in die Stimme Lundströms ein, der auf den Piano- und Akkordeonrhythmen wie ein Hexenmeister tanzt und seine Stimme, die ganz an die Front gemixt wurde und ungemein berührt, zu magischen Ritualen erhebt.
"Waiting by the Bridge" danach ist ein Hippie-Road-Trip. Eine Meute turnt in einem alten Bus herum, der durch eine skurille Landschaft saust; ein Popsong mit gemütlichem, liedhaftem Charakter - und wieder eine Spur Gentle Giant in den verschachtelten Harmonien.
Sodann folgt der Roman. "A Dangerous Journey" mit seinen 26 Minuten beginnt wie eine Folklore-Saga, die in ihrem Text sehr böse ist, dies aber lieblich erzählt, bis der brutale Rock ausbricht. Auf akustischem Instrumentarium unterhält Bänkelsänger Lundström, und wieder ist seine Stimme ganz dicht an der Front, ebenso die akustische Gitarre, das Akkordeon, der Bass - dieser Klang ist phänomenal, berückend, erschütternd. So führt er in diese Welt ein, die gefährliche Reise beginnt. Und die hat einige Überraschungen parat. Gefährliche Schluchten, irritierende Gewässer, Stürme, Gewalten, wilde, böse Wesen und zarte Elfen. Über Stock und Stein führt der Song, in dem Lundström seine Stimme in gewissen Passagen in die Kopfstimme kippen lässt, was einige Intensität und Intimität ausströmt.
Ein echter Folk-Prog-Rocker, wieder mit dieser gewissen Spur Gentle Giant, aber auch, in harten Momenten, überbordender King Crimson Aggressivität, die wie eine Monsterwelle alles verschluckt. Jon Gamble, Fredrik Lindqvist und Johan Nordgren sind wie gehabt ideale Partner dieses Ausnahmesängers.
Der erste Höreindruck ist erstaunlicher Weise schon sehr positiv, die Überraschungsfülle betäubt! Beim zweiten Mal wirkten die Songs plötzlich lau, gewiss sehr angenehm, aber doch nicht mehr so vital. Doch jedes Hören baut die Songs wieder auf, und schließlich bleibt nichts, als sich süchtig in die tonale Masse zu schmeißen und darin unverschämt und hingerissen zu baden.
Welch Klang! Grandioses Album, wunderbare Musik. Mehr…

ritual.se
insideoutmusic.de
VM



Zurück