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Puppenhaus "Jazz macht Spazz" (SWF 1974/Malesch Records/Long Hair 2009)
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Da stehen alle Antennen auf Empfang: Jazz macht Spazz - das kann doch nur gut sein! Und ist es auch. Puppenhaus (vordem Puppenhaus Kaiser Blumenstrauß) spielten Jazzrock der komplexen, progressiven Spielart. Bea Maier (dr), Helmut Krebs und Frank Fischer (b) gründeten die Band Ende 1969, Einflüsse: Frank Zappa, King Crimson, John McLaughlin, Traffic, Yes, Fleetwood Mac, Dauners Et Cetera - in diesem Sinne mehr. In Tübingen wurde die Bandzentrale aufgeschlagen und bald darauf verließ Helmut Krebs die Band wieder, um Kunst zu studieren. Mit Herbert Binder (Einfluss: Jimi Hendrix) stieß dafür ein technisch versierter Gitarrist hinzu. Thomas Rabenschlag (key) folgte, später Büdi Siebert (fl, saxes). Die Musik wurde im Laufe der Bandentwicklung immer jazziger und komplexer, aufwendiger und expressiver, Miles Davis, Weather Report, Soft Machine und Passport hinterließen ihre Spuren. Aus dem Booklet ist nicht zu entnehmen, ob die Aufnahmen überhaupt jemals auf LP veröffentlicht worden waren, dem Anschein nach nicht, dennoch sind die beiden letzten, live aufgezeichneten, soundtechnisch wie die 5 ersten Tracks erstklassigen Aufnahmen als Bonus aufgeführt.
Die CD beginnt mit "Anfang", schon mal gut. Ein kraftvoller Jazzrocker mit starkem Motiv, eingängig, heavy und lebhaft in der Struktur, rasant und virtuos gespielt. Gitarre, Flöte und Keyboards nutzen den improvisativen Raum ausgiebig und sehr phantasiereich. Trotz aller Verspieltheit und weit ausschweifenden solistischen Arbeit zerfetzt der Song niemals, bleibt das starke Motiv stets erhalten. Die 10 Minuten sind im Handumdrehen vorbei, verblüffend, dieser markante Einstieg. Und vollkommen hinreißend!
Der schönste Part der knapp 78 Minuten langen CD ist der Beginn von "Swingende Elefantenkompanie", eine Parodie wie aus dem Zirkus, als würde der komischste Trupp seltsamer Gestalten zu seiner holprigen Parade ausholen, nach einer Minute gibt es einen harten Bruch und Jazzrock auf Speed jagt energisch voran. Welch Rhythmusgeschehen! Welch Genuss! (Musste dieses fabelhafte Geheimnis denn so lange auf seine Veröffentlichung warten lassen?)
Bis auf einen 6- und 8-minütigen Song sind alle Stücke über, teilweise weit über 10 Minuten lang, und alle Songs sind sehr gut. Melancholische Balladen ("Let the pig out"), Rocker ("Anfang", "Swingende Elefantenkompanie") und ausgedehnte Verrücktheiten ("Improvisationen") gehen in ihren aufwendigen Kompositionen enorm gut auf.
Nicht weniger gut sind die beiden Bonustracks, die, OK, im Klang ein wenig nachlassen. "Fünfmal Schnitzel mit Pommes Frites" ist wieder sehr dynamisch und schnell, eine hektisch-grandiose Aufnahme, witzig-virtuose Idee mit wilden Soli und pausenlos hoher Energie sowie das entspannte, epische "Sabanone" mit Platz für ausgedehnte Bläsersätze und diverse Soli.
Was, diese Band ist euch unbekannt? Warum das? Die Songs sind fabelhaft komponiert, erstklassig gespielt, Soli und Improvisationen glühend inspiriert. Das hätte ein Klassiker werden können!
Im Booklet ist die Geschichte der Band in englischer und deutscher Sprache nacherzählt, sind Fotos und schön gemachte, passende Illustrationen und technische Informationen zu entdecken.
Nur unbedingte Empfehlung für Jazzrock-Süchtige der komplex-progressiven Art!
longhairmusic.de
VM
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