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Pat O´Keefe/Jason Stanyek/Scott Walton/Glen Whitehead "Tunnel" (Circumvention 2003)
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"threshold", Opener auf "Tunnel", beginnt bezeichnend. Jason Stanyek bearbeitet seine Fretless And Quarter-Tone Guitar, auf das quietschende, knirschende Töne scheinbar elektronischer Natur entstehen, die trotz aller Lautstärke und kreischenden Dissonanz Ruhe und Lyrik ausstrahlen. Pat O´Keefe setzt mit der Klarinette ein, trägt die Töne in melodischer Weise fort, illustriert sie spielerisch. Scott Walton greift in die tiefen Saiten seines Flügels und bringt damit düstere, mystische Töne hervor. Glen Whitehead bläst durch sein Trompete hindurch und nur stilles Rauschen vermittelt sich dem Ohr. Unbemerkt ging die freie Improvisation in das zweite Stück "trace" über, das in fast völliger Stille wie ein Lufthauch verfliegt und langgezogene, dünne Töne offenbart, die sich wie im Wind wiegen. Scott Walton streicht den Bass und die Schwelltöne kriechen wie ein Ameisenzug über den Rücken. Die Düsternis des Themas ist ob ihrer Stille fast schon komisch. Zum Ende von "race" haben sich die Töne melodischer, konkreter zusammengefasst und finden zu einem lyrischen Motiv, das von einem zerfahrenen Trompetensolo gekrönt wird. Ganz im Gegensatz zum 2. beginnt das folgende Stück "Boundaries" in schräger Lautstärke, kreischend wie eine Futter entdeckende Hühnerschar, die furios ans Körnerklauben und Schnabelhacken geht. Doch auch hier "entkörpert" sich die Improvisation, zerfasert. Die Lautstärke verrinnt und schnarrende, schwellende Töne verbleiben, Trompete und Gitarre zersetzen fast schon psychedelisch den tonalen Raum. So geht es fort. "Graft" ist ein lautmalerisches Thema, "Sliver" ein sehr aktives, aber eher knarzige Einzeltöne sammelndes Atonalstück, das 17-minütige "Measure" ein Klangrausch melancholisch-zerfahrener Natur und "Time, not tide" die fast schon melodische Variante der atonalen Musik des Quartetts.
Musik zwischen Stille und Lärm findet auf "Tunnel" einen improvisativen Klangraum, einen abstrakten Ausdruck, was vor 20 Jahren so nicht möglich gewesen wäre. Die Musiker mit dieser Intention hätten vor 30 Jahren FreeJazz gespielt und vor 20 Jahren wahrscheinlich zwischen NoWave und Electronic gearbeitet, doch die Übungsphasen freier, improvisativer Musik sind vorüber gegangen und aller Lärm, Krach, alle tonalen Schocks sind ins Bewusstsein der Musiker, des Publikum geflossen und verarbeitet. Die neuen Töne improvisativer Musik, die Labels wie Circumvention und Accretions fördern, sind eher auf die Erfahrungen von Fred Frith und ähnlicher Künstler orientiert, die Instrumente wieder hör- und erlebbar machen und Stille und Sanftheit in allen dynamischen und erregten Themen zulassen und konkret fördern. Musik, die sich selbst beendet? Mitnichten, sondern eine äußerst interessante und kluge Musik, die eher einen Ausweg bietet, die verstopften Sinne freizumachen einlädt und mit eigenständiger, selbstbewusster Klangcollage entschädigt. Längst kein Einheitsbrei, kein diffuses Gewusel, keine langweiligen Allgemein-Notationen, sondern erstaunlich lyrisches Instrument neuer improvisativer Musik. Bleibt potentiellen Hörern nur, sich auf das Experiment einzulassen. Eine interessante Erfahrung ist "Tunnel" allemal.
circumventionmusic.com
VM
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