Odin "Live at the Maxim" "Odin" "SWF Session 1973" (Malesch Records/Long Hair 2007)

"Cosmic Dreams At Play", Dag Erik Asbjørnsens Buch über die deutsche Progressive und Elektronik Rock Szene der frühen 1970er, listet Odin nicht als deutsche Band auf und meint im Anhang unter "the non-germans", dass er keine Ahnung habe, warum die britische Band (!) ihr (echt gutes, wie er meint,) Album nicht im großen Königreich veröffentlicht hätte.
Es macht den Anschein, als hätte das in Sammlerkreisen begehrte einzige Album der Band nicht nur ein Schattendasein geführt, sondern als wären Odin zu Zeiten der Erscheinung in Szenemagazinen wenig bis kaum in Interviews aufgekreuzt, als hätte es wenig Resonanz auf das Album gegeben. Im Booklet zur "Odin"-CD sind jedoch Rezensionen zu lesen, die allesamt positiv ausfallen.
Die komplette Geschichte der Band, ausführlich und detailreich, ist in den Booklets in deutscher und englischer Sprache zu den separat veröffentlichten drei Odin-CDs nachzulesen. Jeff Beer, der deutsche Part der Band, hatte die vergangenen Jahrzehnte über originale Bänder und Pressereaktionen aufbewahrt und die Bandgeschichte geschrieben, die in den drei Booklets in sich ergänzenden Parts abgedruckt zu finden ist.
Im Heft zur originalen Odin-Platte ist aufgeführt, was die einzelnen Musiker heute tun. Jeff Beer arbeitet als freischaffender Komponist, Perkussionist und bildender Künstler, gibt Konzerte und hat Ausstellungen und Projekte im In- und Ausland. Ray Brown arbeitet als selbständiger Zimmermann in London und Rob Terstall, der holländische Teil des Quartetts, ist Gitarrist und Bassist in verschiedenen Jazz- und Rockformationen und lebt in Deutschland. Schlagzeuger Stuart Fordham ist bereits im Jahr 2003 verstorben, R.I.P.
Die "Odin-Platte war bereits 2000 auf CD wieder veröffentlicht worden, auf dem Living In The Past - Label, der Sound der Aufnahmen ist mit denen der jetzt aufgelegten CDs nicht ansatzweise zu vergleichen, erheblich viel dünner, matter und plärriger klingt die erste CD-Version. Im schmalen Heftchen ist dort zu lesen: "Sorry folks, but no more information available yet!" (Und wie vielen weiteren Rockklassikern geht das so, die auf ein ansprechendes Rerelease warten!)
Wie es im Booklet steht, ist es zur Wiederveröffentlichung der Platte und weiteren Materials gekommen, weil Manfred Steinheuer von Long Hair Music Jeff Beer so lange löcherte, bis dieser die Tapes suchte - und wohlverwahrt fand, sowie dem Toningenieur Jörg Scheuermann, der die alten Bänder restaurierte und die Aufnahmen remasterte.
Dass es drei CDs geworden sind, liegt an der Menge guten Materials, das in dieser Serie sehr gut geordnet veröffentlicht wird. CD1, "Live at the Maxim", im September 1971 im Schweinfurter, ja, Maxim aufgezeichnet, schon präsentiert eine technisch virtuose Band, die noch nicht so komplexes Material wie auf den beiden anderen CDs [in den späteren Jahren] spielt, sich jedoch mit voller Leidenschaft und Virtuosität durch die Songs jagt, diverse mordswilde Soli und ausgefeilte Instrumental-Orgien von der Bühne schleudert, die nicht nur damals beim Publikum gut ankamen, sondern auch jetzt immer noch eine ausgezeichnete Figur machen. Odin waren vom Progressive Rock inspiriert, als Vorbilder sind Frank Zappa, King Crimson, Soft Machine, Yes, Van der Graaf Generator, Gentle Giant, John McLaughlin und Quatermass genannt.
Ray Brown (voc, b), Stuart Fordham (dr) - die britischen Anteile der in Deutschland lebenden Band - , Jeff Beer (voc, org) und Rob Terstall (voc, g) waren von Beginn bis zum viel zu frühen, resignierten Ende die erste und einzige Besetzung Odins. Wie es zur Gründung der Band kam - und was zuvor geschehen war - ist alles in den Booklets nachzulesen.
"Live at the Maxim" hat als Live-Aufzeichnung den schlechtesten Klang der drei CDs. Jedoch ist der Sound remastert und deutlich besser als Bootleg-Niveau, die Aufnahmen haben zwar einen Schleier und es gibt gewiss tonale Einschränkungen, dennoch sei - wie die beiden anderen auch - diese CD unbedingt empfohlen. Was hier musikalisch passiert, ist grandios! Exzellente Improvisationsschlachten machen aus den längeren bis sehr langen Stücken ein unbedingtes Muss für Freaks der alten Schule. Vom Album "Odin" ist nur "Gemini" in anderer Version dabei. Vier Zappa-Cover, ein Stück von King Crimson, zweimal Neil Young (-Rocker) und erst nur ein Odin-Stück, das 19-minütige "Silver Dollar" und zwei weitere Tracks sind auf der 70-minütigen CD enthalten.
Die Soli von Jeff Beer an der Orgel und Rob Terstall an der Gitarre sind bemerkenswert, wild und radikal, die heutige zarte Prog-Szene kennt dieserart leider nicht mehr. Wäre die Rockgeschichte besser mit Bands umgegangen, hätten Odin mehr Glück gehabt, gewiss folgende Alben hätten aus dem Vierer ganz andere Bekanntheit rausgeholt…
(Im abschließenden Teil der Bandgeschichte ist zu lesen, dass die Band bereits an ihrem zweiten Album arbeitete, als sie sich schließlich auflöste...)
Das einzige damals veröffentlichte Album, schlicht "Odin" betitelt, hat als Bonus das 1972 gespielte 14-minütige "Oh No" (Frank Zappa) dabei. Die Songtexte sind im Booklet zu lesen, das vielseitige Booklet ist - wie die anderen - ansprechend gestaltet und spart nicht mit Informationen. Ähnlich wie Garden Of Delights CD-Veröffentlichungen werden auch Long Hair Records CDs allerfeinstens angeboten. Noch einmal der Vergleich zum 2000er Living In The Past-Release: das Cover hat hier auffällig an Unschärfe verloren, ist kräftiger im Ton, da ist zu sehen, dass auf das originale Bild zurückgegriffen - und beste Arbeit getan wurde.
Der Klang ist exzellent, die Musik hat - zwei Jahre nach der Live-Aufzeichnung von der ersten CD - erheblich an Virtuosität und Komplexität gewonnen. Schlagzeuger Stuart Fordham arbeitet ununterlassen, hält nicht nur Rhythmusbasis für die Tracks, sondern spielt ausgiebig melodisch und fährt stete, verflixt komplizierte Rhythmen und Tonnen an Breaks auf. Im Verbund mit dem hochmelodisch und dabei schön hart arbeitenden Bassisten Ray Brown ist das eine grandiose Rhythmuscrew, die allein schon für großes Aufsehen sorgt. Jeff Beer spielt neben Orgel auch Vibraphon und Percussion, was er später, nach Odin, noch im Duo mit Jürgen Schmitt tat (wovon ein kleiner, genialer Ausschnitt auf einer Nachwuchs Festival Pop '80 LP enthalten ist - diese Aufnahmen warten auch noch einer ebenso würdigen Wiederveröffentlichung!). Jeff Beer und Rob Terstall vor allem bauen die weitgehend instrumentalen Song melodisch intensiv aus. Spannende Momente sind da zu erleben, neben dem 10-minütigen Opener "Life is only" sind "Gemini" und Clown" die eindrucksvollsten Tracks, gewiss auch, weil sie am längsten sind und instrumentale Virtuosität und rockmusikalische Versiertheit schön aufwendig und komplex präsentieren. Der Bonustrack lässt, wie sollte es anders sein, in der Soundqualität etwas nach, bleibt aber stets im gut genießbaren Bereich und fährt in seinen 14 Minuten wieder das volle instrumentale Programm auf. Diese CD ist ein echter Klassiker!
Die dritte CD ist "SWF Sessions 1973" betitelt, und das sagt zu den Aufnahmen schon alles. Hier sind nicht nur die bisher genannten Instrumente aufgeführt, wie in der damaligen progressiven Rockmusik üblich, steht hinter jedem Namen eine lange Liste an Instrumenten. Enthalten sind lediglich 5 Tracks. 4 Aufnahmen aus den Sessions und ein Bonustrack. Von den 4 Sessiontracks wiederum sind zwei vom "Odin"-Album in noch intensiveren Versionen und zwei Stücke von Frank Zappa. Was Rob Terstall an der Gitarre leistet, zieht einem die Stiefel aus. Die ewig langen Soli sind der helle Wahnsinn! Noch mal: hätte die Band weiter existiert…
Die Band spielt technischer, virtuoser, extremer und experimentierfreudiger als je zuvor, emotional glühend, die standen bestimmt wie in Trance neben sich und sahen sich selbst zu, wie sie diese irren, unglaublichen Leistungen vollführten. Auch die Zappa-Covers klingen nach Odin, wurden umarrangiert, auf das Quartett umgemünzt und bekommen so weitere Facetten.
Als Bonus ist wiederum ein live aufgezeichnetes Stück dabei. "Make Up Your Mind", auf den anderen CDs nicht zu hören, breitet sich über 13 Minuten aus. Die Gesangsspur des auch im September 1971 im Schweinfurter Maxim aufgezeichneten Stückes ist schlichter als bei allen anderen Songs, das Teil ist ein freakiges Avantgardegetöse, dessen instrumentale Materialschlacht von ganz leise bis ganz laut wechselt, und das urplötzlich! Wieder ist die Wahnsinnsenergie zu spüren, die in allen Odin-Songs lebt.
Gibt es nichts zu meckern? Oh doch, warum nur, verflixt, hatte die Band sich so schnell aufgelöst damals!
Mit drei CDs, mit diesem grandiosen Material ist die Geschichte von Odin umfassend, ausführlich und liebevoll zu einem guten Ausgang geführt worden. Bleibt zu hoffen, dass Jeff Beers & Jürgen Schmitts hinreißendes "Dusk und Toad" in voller Länge veröffentlicht wird.
Malesch Records/Long Hair Music haben bereits 58 Veröffentlichungen im Katalog, was auf ihrer Webseite ausführlich und detailliert in Augenschein zu nehmen ist.
Unbedingte Empfehlung für diese drei CDs.

longhairmusic.de
VM



Zurück