Keith Emerson & The Nice "VIVACITAS - Live At Glasgow 2002" (Sanctuary Records Group 2003)

Was bleibt eigentlich? Was wird progressive Rockmusik in dreihundert Jahren bedeuten (und was wird als solches erkannt werden)? Werden Studenten dies als Fußnote in der Musikgeschichte kennenlernen? Wird Rockmusik überhaupt als Farce sich entpuppen? Als Massenphänomen, das in seiner Zeit funktionierte und, nachdem es ins Lächerliche abdriftete, schließlich lautlos verendete? Noch ist es nicht so weit. Aber die Orientierung auf Gewinn ist in der Musik der große Leidenschafts-Mörder. Die Wiederkehr großer Klassiker kündigt das zwar noch nicht an, sondern zelebriert eher Nostalgie, aber es ist ein Zeichen. "VIVACITAS" ist ein interessantes Album, zum einen, weil es beweist, dass die Helden auch alt werden, zum anderen, weil es deren nach wie vor vorhandene Befähigung zum Spiel dieser aufwändigen Songs aufzeigt. Erstaunlich flink sind die Finger von Lee Jackson am Bass, kraftvoll das Schlagzeugspiel von Brian Davison und immer noch eine Ohrenfreude die vitalen Läufe zwischen Blues, Jazz und Klassik, die Keith Emerson zum besten gibt. Als Unterstützung steht Gitarrist Dave Kilmister mit auf der Bühne, ob nachträglich an den Songs gefeilt wurde, ist nicht zu hören, die Perfektion der Intonation läßt es vermuten. Die 3-CD-Box ist keine wirkliche Mogelpackung. Es ist kein The Nice-Live-Werk, sondern völlig auf Keith Emerson zugeschnitten. Auf CD1 spielt er mit seinen alten Kollegen, CD2 ist in anderer Besetzung eingespielt worden. Phil Williams, Pete Riley und Dave Kilmister neben Keith Emerson sind perfekte Musiker, die zwar sehr gut in der Lage sind, die Songs dynamisch, professionell und lebendig zu spielen, denen allerdings völlig egal ist, was sie spielen. Sie haben bereits in allen Sparten gearbeitet. Diese Produktion wird ihren Profilbögen eine weitere besondere Note hinzufügen. CD3 ist ein etwa 20minütiger Interviewteil mit den 3 The Nice-Members und Chris Welch von 2001. Eine ausgeklügelte Produktion, die viel Material bietet. Ob Fans das brauchen, müssen sie selbst entscheiden. Zwar sind die Songs alle bereits da, aber die Live-Interpretation auf CD1 ist wirklich ein beeindruckendes Stück Musik (vielleicht gar das letzte dieser Band). Auch CD2 kann sich hören lassen. Nachdem Keith Emerson sich in zwei kurzen Songs am Piano austobt und seine begnadete Kunst zu spielen nach wie vor in der Lage zeigt, spielt er mit seiner Begleitband solch tolle Stücke wie "Tarkus", "Hoe Down" und "Fanfare For The Common Man". Nicht zuletzt bietet CD3 ein unterhaltsames, lebendiges Interview mit den alten Hasen. Keine schlechte Sache also. Die Originale sind natürlich wichtiger.

sanctuaryrecordsgroup.co.uk
VM



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