New York Art Quartet "Old Stuff" (Cuneiform Records 2010)

Wer mag da im Publikum gesessen haben, was mag die Band vor dem Konzert zu sich genommen haben, dass die so intensiv einsteigen und mit überhöhtem Selbstbewusstsein und völliger Hingabe an ihre Songs alles geben und vom ersten Ton an so ungemein überzeugend sind? Im Sommer 1964 als Nachfolgeband der New York Contemporary Five gegründet, gab es das Ensemble gerade einmal eineinhalb Jahre. Zwei Alben spielte die Band ein, 1964 das titellose Debüt, ein Jahr darauf "Mohawk". Im Jahr 2000 legte die nicht ganz original wieder vereinigte Band "35th Reunion" auf, jetzt folgen diese wieder gefundenen Archivaufnahmen, deren erste 6 Songs am 14. Oktober 1965 im Montmartre Jazzhus in Kopenhagen, Dänemark und Nummern 7 bis 10 in der Konzerthalle des Radiohauses der Danish Broadcasting Corporation am 24. Oktober 1965 ebenfalls in Kopenhagen live aufgezeichnet wurden.
Opener "Rosmosis" vom 1964er Debütalbum legt in der typischen Radikalität und Intensivität der Band und damaligen Jazzszene los. Bassist Finn von Eyben setzt ein Motiv vor, das er wieder und wieder wiederholt, bis die Band einsetzt. Von Anfang an ist die Band enorm auf Draht und Zack, jeder Ton vibriert und donnert, als wäre er der wichtigste auf der Welt. John Tchicai (as), Roswell Rudd (pos) und Louis Moholo (dr) reizen samt Finn von Eyben (b) enorme Experimente aus. Das Bandspiel hat ungemein Kraft und Energie, nichts wird zurückgehalten, alle Töne bersten vor dramatischer Spiellust und hingebungsvoller Intensität. Alle Beteiligten sind Melodiker und was das Ensemble in seinen einzelnen Mitgliedern solistisch und als Band zusammen in Soli und Improvisationen für verzückende Harmonien und Energieschübe freisetzt, ist zutiefst beeindruckend und von exzellenter Qualität.
Hier sind erstklassige Free Jazz Künstler am Werk, die nicht der extremsten Freiheit, sondern der homogensten Melodievielfalt in freier Entfaltung ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Die Bläser müssen sich verbogen haben, so, wie die Töne aus den Boxen fließen. Posaunist Roswell Rudd liebt verzogene, schräge Klänge, die er mit unterschiedlichem Ansatz bis in ihre endliche Leere bläst, John Tchicai hingegen ist ein kraftvoller Bläser, der radikale Töne mit Energie und stets voller Lunge ausspuckt, die beiden umspielen verzückt einander und die harmonischen Ergänzungen und Brüche faszinieren ungemein. Wie nur, frage ich mich, konnten diese herzhaften, lebendigen Arrangements erschaffen und so dynamisch gespielt werden, dass es scheint, als sei jeder Ton aus dem Augenblick entstanden und beider Spiel die höchste Ergänzung freejazziger Möglichkeiten schlechthin?
Finn von Eyben hat einige Nüchternheit im Spiel, aus heutiger Perspektive klingt er eher nach Avantrock als Freejazz, seine Soli sind fett und radikal, fließen aus sensibler Note in brachiale Offenheit, und was Louis Moholo trommelt, ist energisch, komplex, vital und in aller lockeren Verspieltheit höchst konzentriert und auf den Punkt gebracht.
So frei und der Realität enthoben die inspirierte Band auch klingt, ist die Gesamtharmonie doch von aufeinander abgestimmten Arrangements bestimmt. Die technische Möglichkeit der Spieler, ihre instrumentale Lockerheit und spielsatte Würze haben eine breite Basis und einen festen Background, auf dem die freejazzigen Experimente treffsicher abgeschossen werden und erstklassig funktionieren. Die Konzertatmosphäre - im Gegensatz zum publikumslosen Studio - birgt die Möglichkeit der trancegleichen Enthobenheit und völligen Intensivierung des Spiels. Das ist hier sehr gut zu hören. Welch Glück, dass die Aufnahmen gefunden wurden.
Not to be missed!

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VM





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