Nevärlläjf "Klusterfloristen" (Musea Records, VÖ: 11/2009)

Schweden. Progressive Rock. Retro. Klar doch. Und nix typisch. Eher "Progressive Music" im schwedischen Sinn, wo Folk, Rock, Avantgarde, Blues, Jazz und Wurzelmusik zu diesem einzigartigen instrumentalen Mix verschmelzen. Die Jungs haben "Populärmusik aus Vittula" gelesen, die Plattenschränke ihrer (Groß-)Eltern durchgehört - und sich trotzdem die Haare modern halbkurz stylen lassen.
Die sehen so harmlos aus! Als könnten sie geradeso Gitarrensaiten von Dunderklumpen unterscheiden. Junge Bengels mit weißen Gesichtern, die in der Schule Gentle Giant durchgenommen haben und sofort in den Keller gestürmt sind, ihre Sicht der Dinge zu verewigen. Faszinierend, die Lockerheit ihrer Ideen, das witzig freie Spiel, die stürmische Erregtheit ihres rotzfrischen Bandinterplays, die scheinbare Harmlosigkeit ihrer fast rein instrumentalen Songs (die nur von Geschrei und Ab-und-zu-Gequatsche aufgeschreckt werden), die Virtuosität ihres Spiels, die Reichhaltigkeit ihrer Ideen, die verrückten Entwicklungen ihrer Songs, die eklektische Spannbreite, der jugendlich frische Charme, die herzliche und quasi naive Schöngeistigkeit der Songs.
Dabei haben Tor Sandell (synth), Daniel Björklund (g), Fredrik Sommar (b), Martin Olsson (g) und Olle Karllson (dr) es faustdick hinter den Ohren. Sie können die Komplexität Gentle Giants, fette 70s Rockhärte, abgefahrene Schräglage, intensive Jazzrockigkeit, folkloristischen Blumensonnenscheinschönklang und düstere Horror-Melancholie. Stets mit dem Schalk im Nacken, energischer Vitalität und selbstbewusster Durchsetzungsfähigkeit wissen sie ganz genau, was zu tun ist, ihre Songs zu schmücken, dass sie Lebensfreude verbreiten. Therapiemusik.
Rock'n'Roll wurde nur deswegen nicht in Schweden erfunden, damit die anderen Ländlichkeiten dieses Planeten auch was davon abbekommen.
Hier sind beide Seiten. Hell und dunkel. Magma und Gong. Univers Zero und X-Legged Sally. Motörhead und Abba. Locker-luftig flutschen die jazzbetonten Komplexlustigkeiten im steten Pigment-, will sagen Themen- und Stilwechsel in das Wohnzimmersesselwohnzimmer. Die Songs rocken und rollen, und in aller Verspieltheit ist nichts, und nichts gar überhaupt beliebig, obschon Nevärlläjf mittenmang schon mal angenehm maßlos übertreiben, schrägste & kneipigste Klänge ineinander verweben, als könnte das anders nicht sein.
Die Komiker von der Progstelle mit dem Herzen auf dem rechten Fleck und jugendlicher Frische in der Lebensfreude sind lustig, aber kein Stück doof, lebensfroh, aber nicht mit Matschbirne voll Popquatsch - davon gibt es hier nix. Hat unbekümmerten Anarcho-Charme und gibt viel Witziges zu entdecken, etwa quietschigen Orgel-Funk, der ins Symphonische kippt, sphärischen Folk gebiert und daraus zu Boogie mutiert, um im schrägen Jazzrock zu enden - um mal einen 15-sekündigen Ausschnitt kurz aufzugreifen.
Bei allem Schönen, und von Schönem hat die Band zahllos viel, ist das Beste nicht der Longtrack, nicht ein Song, nicht DER Song, nicht die eine einzige besondere Idee, sondern - alles, und - das Ende der Platte. Eben noch frickelt sich die Lebensfreudekapelle durch die 11 Minuten ihres düsterklaren "KyskHästsDisco", da ist die CD in aller Aufregung mittendrin, zu Ende. Der Sound wandert noch durch das Hörempfinden, da empört sich schon des Hörers Genussbruch - Strom weg? - weil plötzlich ohne Ansage Ende ist. Die hören einfach mittendrin auf. Also: gleich noch mal anmachen. Kurzweiligkeit hat eine neue Definition: Nevärlläjf, was immer das in Turku übersetzt heißen mag.
Steigt da am Horizont die Hoffnung der zweiten CD der Jungmannkapelle auf? Aber!!!

nevarllajf.com
myspace.com/nevarllajf
musearecords.com
VM



Zurück