Nemo "Barbares" (Quadrifonic 01/2009)

"Barbares", das bereits sechste Album der französischen Progressive Rock Band Nemo, beweist ein stilistisches Manko, das die ganze Szene betrifft. Progressive Rock bedeutet gewiss nicht, gefesselte Musik nach für immer festgelegten Kriterien zu erfüllen, stilistische Starre zu betreiben oder in steter Betondenkweise zu agieren, um nur keine Änderung zu erzielen, sowie geliebte Vorstellungen für immer als immanent zu verankern.
Progressive Rock bedeutet Fortschritt, Loslösung und kreative, energische, kunstvolle und lebendige Rockmusik, die komplexe, symphonische, epische, wilde und "schräge" Motive enthält. Und viel mehr als nur das.
Der Belgier Pierre Vervloesem, beeinflusst von Frank Zappa und Robert Fripp, der Gitarrist in den Bands X-Legged Sally und A Group war und seit etlichen Jahren solistisch arbeitet, meint stets, sobald er ein Projekt ausgeführt und damit beendet hat: never the same album again. Was ihm bisher stets gelungen ist, seine stilistischen Sprünge sind enorm, was ihm nicht nur Freunde eingebracht hat.
Dafür ist seine Musik stets von ursprünglicher lebendiger Frische und Vitaldynamik, ganz das Gegenteil von dem, was das Genre Progressive Rock auf Grund Kleingeistes und alberner Festgefahrenheit zu dem gemacht hat, was es heute in so mancher Band, manchem Album, den Köpfen mancher Fans ist: eine betonierte Einbahnstraße, die zu Impotenz der Neugierde auf Musik führt und letztlich nur Sammelleidenschaft befriedigt, keinen Tag erhellt und irgendwann verschimmelt vergessen wird.
Nemo haben bewiesen, dass sie hochqualitative Musik zu kreieren wissen. Sie haben einen Sinn für ausgefeilte Kompositionen, für instrumentale Musik, die begeistert, für Geschichten, die sie in kunstvollen Texten ausdrücken, für knifflige Arrangements, ansprechendes Coverdesign - die umfassende Gestaltung ihrer Produkte. Und das sind ihre Alben auch: Produkte. Die Band, so lebhaft und locker ihre Songs klingen, steckt in der Stilfalle. Das beeinträchtigt ihre Kreativität. Auch wenn sie das, was sie spielen, sehr gut tun und gewiss in der Fangemeinde mit auch ihrem sechsten Album "Barbares" ankommen werden, was ich ihnen nicht verwehren möchte, bleibt der Eindruck, dass bestimmte Arrangements ihrer Songs konstruiert und gezähmt wirken, deutlich.
Nemo sind Künstler und umschmeicheln den Hörer mit diversen Sounds und einer Vielzahl Ideen, die der Starre und mangelnden Lustlosigkeit entgegenwirken. Es passiert halt in einer Band über die Jahre, das alles gut funktioniert, ohne das die einstigen Funken je wieder entzündet werden können. Technisch und handwerklich ist die Band bestens gerüstet, wenn ihre Kompositionen auch nicht in jedem Fall überzeugen oder gar verblüffen.
Die Band gehört zu den besseren Bands in der symphonischen Schule zwischen Retro und Neo Prog, zwischen Eingängigkeit und Melodik auf der einen, Komplexität und Anspruch auf der anderen Seite. Es ist vielleicht ungerecht, gerade dieser Band Starre und Konstruktion, ihrer virtuosen Spielweise und der Fülle ihres Ideenreichtums Zähmung und Mattheit zu attestieren. Doch wann, wenn nicht bei beeindruckenden Bands und Alben, bei bekannten Namen und neugierig erwarteten Werken muss der Szene ihre konservative Einstellung vor Augen gehalten werden.

nemo-world.com
myspace.com/prognemo
quadrifonic.com
justforkicks.de
VM



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