Nachtcafé
"Nachtcafé" (Eigenproduktion 2010)
"Uomini e no" (Eigenproduktion 2015)


Bolzano. Südtirol. Berge, Täler, Wandern, Mountainbiking, Wein & Grappa. Noch 'n bisschen deutsch und schon richtig italienisch. Die Hotelbetreiber, die nicht stehenbleiben und den zeitgeistigen Anspruch ihrer Gäste nachvollziehen, bauen ihre Häuser zu Fitnesshotels um, in denen gut wohnen, essen und ausspannen ist, wo Sportgeräte ausgeliehen und geführte Touren wie offene Tourvorschläge angeboten werden. Wer als Reisender in den Dolomiten richtig bucht, wohnt nicht in konservativem Plüsch, sondern in frischen, modernen Häusern mit sportlichem Ambiente. Warum ich wieder abgefahren bin, weiß ich bis jetzt nicht. Aber ich fahre wieder hin.
Und jetzt kenne ich noch einen Grund. Nachtcafé.
Die Folkband aus Bozen produzierte 2010 ihr erstes selbstbetiteltes Album, das vom Assessorat für Kultur der Autonomen Provinz Bozen finanziert wurde. Die 12 Songs, etwas an Violent Femmes erinnernd, haben es in sich. Lebensfroh, vollmundig bis berauschend, dabei nachdenklich, lyrisch und melancholisch, wirkt der illustre Reigen sehr tief. Da sind keine konservativen Modelle verbaut, und wenn historische folkloristische Muster Teil der Songs sind, dann weil sie zeitlos und echt sind, keiner überzuckerten Mode angehören und von keinem verkitschten Arrangement verklebt wurden.
Ganz im Gegenteil, die Songs leben von der virtuosen handwerklichen Kunst der Musiker. Nachtcafé haben einen deutschsprachigen Namen, singen indes in italienischer Sprache. Die Texte der Songs sind im Booklet abgedruckt, ebenso, welches Bandmitglied welches Instrument spielt.
Zwischen den Vokalparts stecken allerfeinste, geradezu progressiv rasante und hochkomplexe, ultraschnelle bis tief nachdenkliche, verflixt schöne Instrumentalparts, deren rein akustische Einspielung perfekt sauber und technisch hinreißend anzuhören ist. Das Debüt mit seinen 12 Liedern und 51:41 Minuten Spielzeit ist nur unbedingt für Freunde norditalienischer Folklore, die modern, zeitlos, technisch rasant und instrumental vielseitig ist, zu empfehlen.

2015 nun folgt mit "Uomini e no" das zweite Album der Band. Der versierte, hochlyrische, forsche, direkte und ungemein lebhafte Sound der Band ist sofort wiederzuerkennen. Zwar sind instrumentale Interplays nun etwas rarer gesät, doch die komplexen und hoch anspruchsvollen Arrangements der Songs sind im gleichen Geist entstanden. Die Besetzung hat sich etwas verändert. Gabriele Muscolino (Gesang, Bouzouki), Pietro Berlanda (Querflöte, Gesang), Matteo Facchin (Akkordeon), Francesco Brazzo (Klavier, Gesang), Marco Stagni (Kontrabass) und Georg Malfertheiner (Schlagzeug, Gesang) sind die aktuelle Besetzung.
9 Tracks (plus hidden Ghost Track) und 45:56 Minuten Spielzeit erzählen als loses Konzeptalbum von verschiedenen männlichen Figuren aus Geschichte, Politik, Literatur und dem alltäglichen Leben, etwa Berlusconi, Judas, Dostojewskis Idiot oder Melvilles Starbuck. Der rein akustische Folklore-Sound mit Parallelen zu Liedermacher-artigen Strukturen (die eingängigen Refrains) und gleichfalls Einflüssen aus der progressiven (Folk-)Rockmusik ist straff arrangiert. Instrumentaler Reichtum, forsches Spiel, druckvoller, komplexer Rhythmus, hochmelodische Kompositionen und der mitreißende, eindrucksvolle Gesang in Solostimmen wie im Chor sind frei von Klischees oder altbekannten Strukturen und enorm beeindruckend. Freunde zeitloser, moderner Folklore wie ebenso Prog Folk Fans können sich auf hochemotionale, lyrische, ausdrucksstarke, instrumental reiche und vitale Songs freuen.
Auf in die Dolomiten!

nachtcafe.it
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VM



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