Neal Morse "?" (InsideOut Music, VÖ: 28.10.2005)

Nach allem, was ich hier höre, auf dem Album mit dem seltsamen Titel, war seine Ex-Band Spock's Beard dem Ausnahmemusiker Neal Morse schon längst ein Klotz am Bein. Und als hätte ihn sein Glaube an Gott mehr inspiriert als alles je zuvor, wird bewusst, dass seine ehemaligen Bandkollegen niemals die musikalische Qualität erreichen können, die Neal Morse mit jedem folgenden Album immer intensiver, leidenschaftlicher und aussagekräftiger zu komponieren und arrangieren weiß. Vielleicht hätte der Split schon früher passieren sollen. Nur gut für uns Konsumenten und Fans, dass der Mann sich von der Band befreit hat, die ihn nur gehindert hat, sich so hingebungsvoll auszutoben.
Keines der Spock's Beard Alben kann mit "?" mithalten, meiner bescheidenen Meinung nach. Und sicher sind die Lyrics ein wichtiger Teil der neuen CD, deren Titel alle Fans verwirren und zum Nachdenken anregen dürfte.
Allein auf die musikalische Aussagekraft bezogen, bewegt diese neue Produktion ungemein. Die lebhafte und vitale Musiksprache, ganz und gar wie frühe Spock's Beard und weit darüber hinaus, hat eine Intensität und Kraft, die es wert ist, das Ganze und seinen Inhalt zu hinterfragen.
Das liegt sicher auch an den Mitarbeitern von Neal Morse, der wieder einmal Mike Portnoy am Drumkit und die, ok, sag ich mal, Creme de la Creme des Neoprog hinter sich weiß: Randy George (b), Steve Hackett (g, Genesis), Mark Leniger (sax), seinen Bruder Alan Morse (g), der vielleicht Torschlusspanik bekommen hat und sich zu seinem Bruder nach vorn rettet, Jordan Rudess (key, Dream Theater) und Roine Stolt (g, The Flower King), der ebenso wie Neal Morse textlichen Inhalten einen definitiv festen Platz einräumt.
"?" hat keinen Longtrack, das gesamte Werk ist ein einziger Longtrack, ein, sicher, Gottesdienst, der schon allein musikalisch so viel Aussagekraft hat, dass die Songs wohl auch ohne Lyrics bestehen würden. Der Mann hat seine geistige Heimat gefunden und ist gleichzeitig damit in einer musikalischen Qualität angekommen, die er bisher nur gestreift hat. Hört euch nur die vitalen Stücke an, die radikalen Komplexitäten und lebendigen Strukturen, die einfach atemberaubend sind und stilistisch keine Angst vor Pop, Rock und Jazzrock haben und einfach den Weg gehen, der ihnen gegeben ist. Ist Neal Morse ehrlicher und konsequenter als bisher? Vielleicht; gewiss. Auf alle Fälle hat er sich freigeschaufelt, mal ganz abgesehen von seiner Gottfindung hat er zu einer Intensität von Musik gefunden, wie nie zuvor. Das mag miteinander einhergehen, findet aber einen für uns Außenstehende dermaßen starken Ausdruck, dass wir sicher nicht anders können, als dieser Musik fasziniert zuzuhören, gebannt und erwartend, was als nächste Überraschung auf uns zukommt. Neal Morse ist ein progressiv orientierter Musiker mit Herz, Verstand und Seele, der im Hier und Jetzt lebt, keine Hürden kennt, seine Musik, seine Arbeit, leidenschaftlich und intensiv zu zeichnen. Und seine Musik ROCKT!
"?" ist ein Höhepunkt seines bisherigen Schaffens, und ich bin vollkommen überzeugt, dass der Mann alles auf Lager hat, weiterhin aktiv an der Entwicklung fortschrittlicher Rockmusik teilzunehmen und sie zu gestalten. Beide Daumen hoch für Neal Morse und uneingeschränkte Empfehlung, vor allem für Skeptiker des Neoprog.

nealmorse.com
insideoutshop.de
VM



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