Moongarden "Round Midnight" (Galileo Records 2004)

Der erste Eindruck: edel, ästhetisch. Verpackung sehr ansprechend, einfach perfekt. Da wurde liebevolle Arbeit getan. Die Band, auf dem letzten Blatt im Innencover abgedruckt, gleicht einer Büromannschaft: weißes Hemd, Krawatte, nicht so ganz junge Gesichter vor kühler, weißer Rechteck-Landschaft. Was wird das für eine Art Musik sein, die das italienische Quartett in 9 Songs und über 50 Minuten geschaffen hat? Moderner, techno-verwobener Progressive Rock. Der Hang zu kühlen, trendigen Sounds ist unüberhörbar. Ebenso sind die begnadete kompositorische Handschrift und das Faible für flüssige Arrangements zu hören. Da ist viel gearbeitet worden! Freunde des Old School Prog werden "Round Midnight" nicht derart ins Herz schließen wie NeoProg-Jünger. Eine kühle, elegische und nonchalante Stimmung macht sich mit den Songs breit. Zu akustischer Gitarre mischen sich hintergründig angelegter, rauschiger Lärm, Mellotron-Samples und Megaphon-Stimme. Dem liegt eine lässige Atmosphäre inne, der man widerstehen können muss. Das kraftvolle Schlagzeug, das Samples und andere techno-rhythmische Sounds übersteuert und abwechselt, gibt dem Klang eine feste Struktur, eine Ziehleine, die konkret zum Ziel führt. David Cremoni, Cristiano Roversi, Luca Palleschi, Mirko Tagliasacchi und Massimiliano Sorrentini sind begabte Musiker. Ihr Hang zum Melancholischen zahlt sich aus, nicht nur die nörgelnd-dunkle Stimme von Luca Palleschi, auch die kratzige, aber selten selbstbewusste Gitarre und das schwelgerische Keyboard-Spiel bezirzen mit düster-romantischem Ton. Geräusche und Samples werten den Klangraum auf, dynamisieren wie das Schlagzeug das melodische Geschehen und geben dem Ganzen einen Hauch von schwerblütiger Kunst. Still beginnen die Songs, einige bleiben so, andere entwickeln sich episch. Zumeist sind die Tracks länger, von 7 bis 10 Minuten lang, aber auch knappe Einminüter sorgen für wohlige Unterhaltung. "Round Midnight" tut nicht weh, entführt aber in romantische Tiefe, ohne in vergangene Zeiten zu entfliehen. Moongarden leben im Hier und Jetzt und übersetzen Progressive Rock ins Moderne. Schönes Album mit Tiefgang.

VM


Mit "Round Midnight" legen die Italiener Moongarden ihren (nach meiner Zählung) vierten offiziellen Longplayer vor. Für mich ist es die erste Bekanntschaft mit der Band um die Köpfe Cristiano Roversi (der Mann an den Tasten, am Stick, der auch die meisten Songs schreibt) und David Cremoni (für die Gitarren zuständig). Dazu sind noch Luca Palleschi (Gesang), Mirko Tagliasacchi (Bass) und Massimiliano Sorrentini (Schlagzeug) mit an Bord. Dazu kommen noch ein paar Gastmusiker.

Ich scheue mich fast davor, das Stilmerkmal "Neoprog" in den Mund zu nehmen... zu sehr ist es dieser Tage mit dem Odium des Schlechten, des Langweiligen, des Klischeehaften belegt, so dass diese Einstufung fast automatisch abwertend für ein Album gelten muss. Trotzdem: "Round Midnight" ist Neoprog, aber guter und so etwas gibt es auch heute noch.

Moongarden verstehen es auf diesem Album den Grundcharakter des Neoprogs durch geschickte Kombination mit Elementen des aktuell so populären "New Artrocks" (hier vor allem der Gesang, aber auch manche Gitarrenlinie) und des Retro-Progs so aufzuwerten, dass moderne, eigenständige Rockmusik dabei herauskommt.

Band-Mastermind Roversi bedient ein ganzes Arsenal zumeist sogar analoger Tasteninstrumente bis hin zum exzessiven Einsatz des Mellotrons, was für einen herrlich altmodischen Grundtenor in vielen Songs sorgt. Die Keyboard-Sounds bleiben immer äusserst geschmackvoll und dürften daher bei aller neoprog-üblichen Omnipräsenz auch Keys-Hasser eher begeistern denn nerven. Darüberhinaus sorgt er mit virtuoser Arbeit am "Stick" für ordentlich Tiefton-Druck im Opener "'Round Midnight".

Und die Band hat einen Gitarristen! David Cremoni brilliert mit songdienlichen Melodie-Soli, kann aber auch ordentlich "bratzen", wenn das angesagt ist. Er setzt in jedem Fall immer wieder geschickte Kontrapunkte zu den Keys.

Eindeutiger Pluspunkt ist auch der virtuose Drummer Massimiliano Sorrentini. Er sorgt immer wieder für einen unaufgeregten Groove, so dass die Rock-Komponente auch in den eher balladesk angelegten Titeln der ersten zwei CD-Drittel nicht zu kurz kommt. Immer wieder eingestreute heftige Breaks bewahren die Titel auch vor der Gefahr in "gepflegte Langeweile" abzugleiten. Man höre sich nur mal das Schlagzeug-Break im Mittelteil von "Wounded" an...

Sänger Luca Palleschi hat sicherlich eine anfangs etwas gewöhnungsbedürftige Stimmlage und Intonation, fügt sich aber mit seinem leicht weinerlichen Unterton perfekt in die Kompositionen ein. Die Stimme schafft in Verbindung mit den Tasten und der Gitarre oftmals eine richtige Gänsehautatmosphäre. Darüber hinaus sorgen auch die Gastmusiker, deren Einsätze hervorragend in das jeweilige Songkonzept eingepasst sind, für spannende Akzente (Anspieltipp dafür: Das Cello-Intro zu "Slowmotion Streets").

Besonders fröhliche Musik wird hier nicht geboten, gerade die ersten fünf Tracks sind auch eher ruhig und balladesk, aber immer mit diesem unterschwelligen Drumgroove. Es geht auch, soweit ich das verfolgt habe, textlich um die Einsamkeit in Großstädten und den Sinn (oder die Sinnlosigkeit) des Lebens an sich. Dazu passt die Musik sehr gut, ohne völlige Depri-Mucke zu sein, es herrscht eher ein melancholischer Unterton vor. Als musikalische Anhaltspunkte klingen immer mal wieder Porcupine Tree oder die neueren Sylvan durch. Höhepunkt des Albums ist aber trotzdem das erstaunlich heftige "Learning To Live Under The Ground". Moongarden gelingt hier eine sicherlich einmalige Kombination aus crimsonoiden Gitarrenriffing und Neoprog-Sounds, dazu kommt das wehmütige Jaulen des Mellotrons (da scheint sogar noch ein bisschen Anekdoten durch...). Das Teil rockt!

Fazit: Ein tolles Album, welches Freunde guten Neo-/Retroprogs begeistern dürfte, aber auch den Frickel-Heads unter uns als gute (weil nicht langweilige) Entspannungs-Mucke ein Ohr wert sein sollte.

moongarden.it
galileo-records.com
Thomas Kohlruß



Zurück