Minor Cabinet "black ink and white sheets" (Black Penny Records 11.09.2015)


Ist das Bluesrock? Ja, ist es. Aber - aber was?!? Minor Cabinet sind keine alten Recken mit langem Haar, sondern bärtige Boys mit, ja, kurzem Haar. Aus einer anderen Zeit als Johnny Winter und Rory Gallagher. Und doch sind sie im gleichen Genre aktiv. Ab und an könnte sich der angejahrte Musikfreak in Betrachtung der heutigen ‚Musikszene' fragen, ob es morgen noch Musik gebe. Angesichts der offenbaren und vollkommen unversteckten, überall präsenten Verblödungstatsachen in TV und Radio. Indes - es gibt Hoffnung. Vor allem in spezialisierten Genres wie Jazz, Blues, Progressive, Psychedelic, Hardrock, Avantgarde.
Und Indie-Blues. Gibt's nicht? Gibt es. Gerade erst jetzt.
Minor Cabinet stehen dafür. Ihre Einflüsse sind wohl gewiss Blues-Klassiker, und das sind heute nicht nur mehr die großen schwarzen Helden wie Muddy Waters, Howlin' Wolf oder gar Robert Johnson, sondern ebenso die großen Solokünstler und Bands der 1970er Jahre wie die beiden oben genannten oder Led Zeppelin, Ten Years After - und zahllose weitere. Blues ist lebendig wie eh und je, wenn die Mainstream-Medien auch ein anderes Bild vermitteln. Aber die Mainstream-Medien sind ein widerlicher Haufen Scheiße, mit Verlaub, die zu nichts gut sind als Präsentation des immer gleichen Pappnasen-Mülls. Abseits davon lebt der grüne, gesunde Misthaufen wie stets, gründen Jungs und Mädchen Bands, rocken, flippen aus, spielen Jazz oder Metal und kommen Schritt für Schritt voran.
Diese hier sind schon weit gekommen. Minor Cabinet haben nicht nur einen markanten Bandnamen, nicht nur coole, rattenscharfe und mitreißend intensive Songs, sondern zudem einen Plattenvertrag, der ein schickes Album möglich machte, dass nun am 11. September 2015 veröffentlicht worden ist.
12 Songs sind drauf, allesamt - bis auf den Rausschmeißer "Running For Someone" (7:12) kurz und knapp gehalten, straff organisiert, mit starkem Gesang, solo, Chor und Schreien, schneidend scharfer Gitarrenarbeit mit abgefahren exzellenten Soli und einer Rhythmuscrew, die Poltern, Komplexe und Streicheleinheiten kann, alles zu seiner Zeit.
Neben den - eher - Bluesgetränkten Songs sind hier akustische Balladen zu hören, die mit Blues nix am Hut haben, es sei denn, die zarten Orgel hier, der rhythmische Schwung dort. Aber ansonsten - Kehlkopfgesänge, melancholische Schlichtheit, Musik der nächsten Generation. "V1", das ich zuerst als römische 6 las, beginnt mit leichtem Jazz-Touch, ebenso schicke Ballade wie insgesamt instrumentales Kleinod, wofür die Band ein zartes, lyrisches Händchen exquisit hat. Hier können Minor Cabinet nüchtern und cool rocken ("Blessed Are The Pure In Heart"), dort hochemotionale, schick harte Songs ("Island") inszenieren, Indie-Blues (ist nicht anders zu nennen) ("Devotion") abrocken, oder saustarken Hardrock alter Schule mit allem, was dazu gehört ("To The North") zelebrieren, dass die Repeat-Taste fast von allein - - - Ich höre ja oft laut, aber hier ging es durch und durch und die Haare an den Unterarmen standen ab, Jessas, Boys, gut gemacht.
Besonders gelungen in diesem - für mich persönlich absoluten Höhepunkt in einem an Höhepunkten reichen Album - intensiven Song ist die erstaunlich reife lyrische Tiefe und sanfte Seite des Songs, aus der von 0 auf 100 in einem Riff die Welt aufgeht. Und die Bassarbeit! (Nicht nur hier - - - )
Gleich im Anschluss zückt das Piano die ganz zarte Seite. Zu der die männliche, raue Stimme und die weibliche Gaststimme, weich und dunkel, den Text erzählen (singen, natürlich). Noch so ein Höhepunkt - die dunkle Note, die sphärische Eleganz der Melancholie und die Tiefe und Echtheit des Liedes, alle Achtung, diese Band hat Gespür und Sinn für Komposition. Und gleich drauf, die lange Rille, der nächste Höhepunkt.
Julian Jasny (voc, g), Clemens Bombien (g), Tarek El Kassar (keys, p, voc), Paul Krobbach (b, voc) und Roman Dönicke (dr) müssen unbedingt am Ball bleiben und ihren ganz eigenen Stil vertiefen und weiterführen. Aylin Bruns, hier in zwei Tracks mit ihrer dunklen, vollen Stimme dabei, ist eine großartige Ergänzung, wie dies ebenso Thomas Hannes mit seiner elektrischen Gitarre ist, der in zwei Tracks als Gast einstöpselte.
Anders als im frühen schwarzen Blues und ebenso anders als im harten, lauten Bluesrock der späten Sechziger/frühen Siebziger legen Minor Cabinet großen Wert auf lyrische Tiefe und sanfte Songs, nicht so weit von Peter Green entfernt, gefühlt zumindest. Und wenn es drauf ankommt, fehlt nichts an Intensität und hart rockender Lautstärke.
Die 12 Songs (+) machen 54:22 Minuten voll. Meine Hoffnung will, dass die Band ihren Weg weitergeht, ohne auf Kommerz und Mainstream zu achten, ihren eigenen Weg ausbaut. Mir gefallen die instrumentalen Sachen, die Wechsel aus zarter Lyrik und hartem Rock, die emotionalen Höhepunkte mit Gitarrensoli, die großartige Arbeit des Bassmannes und des Schlagzeugers, ohne die die Frontmänner kaum so gut ankommen könnten. Schön, dass es Soli gibt, mehr davon von allen Beteiligten! Und das schöne instrumentale Geflecht des Bandinterplays wie in "V1" muss erhalten und ausgebaut werden.
Großartiges Debüt, das Blues-, (werdenden) Indie-Blues- und alten Rockfans Hoffnung macht.
Die Jugend von heute ist nicht mehr das, was sie früher einmal war! Sie ist einfach besser.
Sehr gute Idee: das+ nach dem 12. Song.
Und alle sind wieder hellwach da.

minorcabinet.com
blackpennyrecords.com
VM



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