Mike Holober "Balancing Act" (Palmetto Records 13.11.2015)


Lyrisch-intimer Jazz. Die kleine Besetzung ist perfekt verzahnt, die Arrangements bis in die komplett notierten Solobeiträge ausdrucksstark, lebhaft und begeisternd. 6 Jahre veröffentlichte Mike Holober kein Album, jetzt präsentiert der Big Band Arrangeur mit kleiner Besetzung dieses erlesene Juwel, das tief lyrisch und hoch melodisch weit von allen schrägen Eskapaden und radikaler Wildheit, wie es viel weiter noch von allem Mainstream entfernt ist, der sich einschmeichelt und seinen Ansatz verdreht, um anzukommen, wie so viele billige Masse.
Zwei Besonderheiten tragen das Album von Beginn an: zum einen die ästhetische Klarheit, die handwerkliche Finesse, das lebhaft-versierte Spiel und zugleich die Hingabe der Musiker, diese Tracks besonders, außerordentlich und mitreißend werden zu lassen. Zum anderen die lyrische Stille, in der selbst lauter werdende Soli, dynamische Bandinterplays und rasante instrumentale Entwicklungen noch stets im Kern sensibel lyrisch bleiben und gar disharmonische Ansätze, wenig ausgeprägt, zum sanften Genuss beitragen.
Schön, die krassen Unisono-Spielereien zu hören, wenn Kate McGarry (Gesang), Marvin Stamm (tr, fl-h), Dick Oatts (as, ss, fl), Jason Rigby (ts, cl, b-cl) und Mark Patterson (tb) diese hinreißend disharmonisch schrägen, indes jazzlyrisch zarten Motive aufmachen, aus denen Solo-Spiel ins Weite führt, um mit der nächsten Strophe hier genau wieder anzusetzen.
Mike Holober (p) plante nicht, und so ist es nicht geworden, ein Jazzalbum aufzunehmen, in dessen Mittelpunkt Gesang steht. Die Stimme ist Teil des Ganzen wie es die Instrumente sind. Gleichberechtigt. Die Arrangements sind nicht um Gesangsinterpretation verplant, wenn gewiss McGarrys großartige und stimmlich hinreißenden, technisch brillanten Beiträge eigene und perfekt passende Arrangements auf die Stimme geschrieben bekommen haben. So treten doch die instrumentalen Ausflüge nicht im Ansatz zurück und gibt es gar lebhaftes, hoch emotionales und dichtes, lautes Spiel selbst mitten im Gesang. Und in aller Dynamik steht wieder und immer noch tiefe Lyrik im Mittelpunkt. Nachdenklich ist der Ton, ist die Atmosphäre der Stücke fast stets. Doch nie düster oder von tiefer Melancholie. Sondern von lichter, kluger, fast nüchterner, lebensfroher Jazz-Aussage. Es purzelt und birst, und der Fluss bleibt holperig episch, die Gegensätze fangen sich ein, ergänzen sich, stiften sich gegenseitig an.
John Hebert (b) und Brian Blade (dr) liefern die spielerisch entspannte, differenziert aufgelockerte, sanft bebende und kraftvoll knackige Rhythmusbalance, die längst nicht nur Basisarbeit betreibt, im Hintergrund, aber intensiv und lustvoll mitarbeitet.
Nicht einer der Beteiligten ist Randfigur, jeder Musiker, jedes Instrument hat seine Kern- und Solobeiträge, die straffen Verzahnungen und rasant deftigen Reibungen im Interplay machen Verzücken rundum.
5 Kompositionen trug Chef Holober bei, eine stammt vom Saxophonisten Rigby. Billy Joels "Lullabye; Goodnight My Angel" und "Piece of My Heart" von Jerry Ragavoy/Bert Burns, bereits von Janis Joplin verewigt, sind Teil des Albums. Allen Stücken ist gemein, dass die Spielzeit, und so ist es von Mike Holober gedacht, der kein ‚Song'-Album wollte, sondern weit mehr, ausgedehnt zwischen knapp 5 bis knapp 10 Minuten, oft über 8 Minuten läuft und der instrumentale Ausbau mit absoluter Intensität angegangen und ausgeführt wurde.
Mike Holober - vielseitiger Musiker und Komponist, der bereits sehr unterschiedliche Stile anging, etwa Frank Zappa für Big Band arrangierte (Frankfurt Jazz Festival 2015) und mit großartigen Jazzorchestern arbeitete (u.a. Stockholm Jazz Orchestra, WDR Big Band Köln, Zagbreb Jazzorkestar), jung gebliebener, großartig begabter Komponist und Jazz-Dirigent, legt mit seiner nicht minder versierten und inspirierten kleinen Besetzung diese lyrische, über eine Stunde ausgeprägte Großtat auf, die nur unbedingt empfohlen sei.

mikeholober.com
VM



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