MIA "Archivos MIA (1974 - 1985)" (Viajero Inmovil 2009)

Auf zwei CDs präsentiert das argentinische Reissue-Label den Nachlass DER argentinischen Progressive Rockband der Siebziger. Vier Alben hatte die Band in den Jahren zwischen 1976 und 1979 veröffentlicht, die beiden Klassiker "Transparencias" (1976) und "Cornonstipicum" (1978), dazwischen das eher eingängig-liedhafte "Magicos Fuegos Del Tiempo" (1977) und zuletzt 1979 das 3-LPs starke Livealbum "Conciertos". Die drei Studioalben waren 1994 vom japanischen Label Belle Antique auf CD neu aufgelegt worden, jeweils um etliche Tracks des Livealbums ergänzt. Ob es weitere Auflagen der Alben, eventuell des Livewerkes gibt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Das im Buchformat aufgemachte und mit umfangreichem Booklet ausgestattete "Archivos MIA" enthält unterschiedlichste Aufnahmen. Längst nicht alle Tracks sind Progressive Rock selbst im südamerikanischen Sinn. CD1 beginnt mit einem erstklassigen komplexen 10-Minüter, der auf weiter Strecke erst einmal allein dasteht. Viele Tracks sind keyboardbegleitete Choraufnahmen, die hin und wieder in progressiv-symphonischen Rockarrangements aufgehen, sehr liedhaft sind und doch eindrucksvoll und ergreifend. Der teilweise große Chor singt überwiegend lautmalerisch, bombastisch von Keyboards inklusive Kirchenorgel und einigermaßen naiver Rockband begleitet. Die Arrangements sind schon mal etwas pappig oder dünn, aber dennoch nicht ohne Kraft und voller Lyrik und Intensität. Es scheint, die "Fehlerhaftigkeit" in Klang und instrumentaler Ausstattung mache die Songs noch lebhafter und sympathischer. Nichts ist wie im heutigen Prog, wo alle Töne kerzengerade ausgerichtet sind und kein Fehlertausendstel sich hören lassen darf. Alles geht eher lässig und brüchig zu und doch machen die Songs Spaß.
Neben diversen Chorsongs, die allesamt sehr lyrisch und schöngeistig sind, in vielen Fällen Liveaufnahmen und in manchem bereits auf "Conciertos" enthalten, die schon mal Klangschwierigkeiten in lauten Passagen entdecken lassen, was auf Überspielung von LP hindeutet, und trotz aller diverser Makel nicht unangenehm ankommen, spielt Chef Lito Vitale ausufernde Keyboardsoli, die Rick Wakeman, argentinische Folklore und Symphonic Rock allgemein als Inspiration erkennen lassen.
Das seitenstarke und inhaltsreiche Booklet, das jedem Song ausführlich Platz bietet, Besetzungen und Aufnahmedaten samt etlicher Fotos enthält, ist ganz in Schwarz gehalten und weiß bedruckt. Der nostalgische Wert der Aufmachung wird Fans der Band schwer beeindrucken, nichts deutet darauf hin, dass die Produktion neuzeitig ist, würde es in den Siebzigern schon CDs gegeben haben, Cover und Booklet würden kaum als nicht zeitgemäß empfunden werden können. Der Qualität des Druckes und der Booklet- wie der Covergestaltung tut dies keinen Abbruch, alles ist wohlüberlegt aufgebaut und zusammengefügt.
Auf CD2 sind weitere Konzertaufnahmen zu hören. In der Überzahl aber aus dem Jahr 1976, bevor MIA ihr erstes Album veröffentlicht hatten. Die Aufnahmen stammen von der privaten Kassettenveröffentlichung "En concierto". Lange, mehrteilige Progressive-Rock-Epen sind wie kürzere Songs zu hören. Auch hier gilt, nichts ist zu genau eingespielt, der naive Charme der schlichten Aufzeichnung hat großen Sympathiebonus, wer Hochglanz will, ist hier completely verkehrt. Viele der 11 Songs sind in kleiner Gruppe eingespielt worden, oftmals akustisch ohne Schlagzeug, liedhaft, folkloristisch, düster und eindrucksvoll mit reichen Arrangements.
Zuletzt ist die 21 Minuten lange, qualitativ holprige, aber hochnostalgische, technisch in den Kinderschuhen steckende Videodokumentation "MIA en Santa Fé" zu sehen und zu hören. Der Computertrack war dem Booklet nach bislang ein gesuchtes, rares Sammlerstück und ist ENDLICH für Jedermann erlebbar und erhältlich.
"Archivos MIA" spricht die Hardcore-Fans der Band an, Symphonic Progressive Rock Fans auch alter Schule sollten nach Möglichkeit erst testen, was für sie dabei ist. Ich möchte die CDs nicht missen, die quasi progressiven Chor- und Akustiksongs sind reich aufgebaut und nicht weniger intensiv als manches Progressive Rock Album. Wer die Studioalben auf CD hat (den ‚rein' Progressive Rock Interessierten werden Album 1 und 3 reichen), muss nur bei übervollem Geldbeutel diese möglicherweise schlecht in Europa erhältliche 2CD erlangen. Für Südamerika-Sammler ist die Box ein unbedingtes Muss.

viajeroinmovil.com/vi.asp?lang=E&customerid=1420862078666
progarchives.com/artist.asp?id=514
VM



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