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Methexis "Suiciety" (Eigenproduktion, 08.05.2015)


Das Jahr 2015 hat schon einige interessante, kluge, witzige Produktionen im Prog-Bereich hervorgebracht, etwa von Morgan Ågren, Consider the Source, Taylor's Universe, Ciccada, The Nerve Institute, Unit Wail, Anekdoten, ja, und klar, Neal Morse und Steven Wilson. Das mir mit Abstand liebste und qualitativ großartigste aller 2015er Alben ist indes "Suiciety" von Methexis, einem Projekt des Griechen Nikitas Kissonas, der bereits 2011 mit "The Fall of Bliss" Aufmerksamkeit erregte. Diese Musik ist wirklich GROß!
"Suiciety" ist ein Konzeptalbum, das vom Leben des Individuums handelt, von Geburt bis zum Tod, zugleich ist es eine Parabel auf das moderne Leben in der zivilisierten Welt. Die Story, in englischer Sprache, ist im umfangreichen Booklet mitzulesen. Musik und Texte schrieb Nikitas Kissonas selbst, die Arrangements sind unter Mitwirkung aller Mitarbeiter gereift.
Neben Nikitas (g) waren Joe Payne (The Enid, voc), Linus Kåse (Brighteye Brison, Änglagård, keys), Nikos Zades (Yianneis, sound design), Walle Wahlgren (Agents of Mercy, Lalle Larsson, dr) und Brett d'Anon (Birds and Buildings, Deluge Grander, b) sowie je ein Bläser- und Streicherensemble an der Einspielung beteiligt gewesen. Das Bläserquintett: Tom Heath (tr 1), Catriona Christie (tr 2), Nerys Russell (horn), James Patrick (pos) und Alistair Clements (tuba). Das Streichquartett: Lu Jeffery (vi), Bernard Kane Jr (va), Juliet McCarthy (ce) und Ron Phelan (double b).
Nikitas Kissonas lehnt sich kompositorisch nur wenig direkt an, weiß aber Einflüsse der (späten) Beatles sowie aus der Klassik einfließen zu lassen. Die Beatles: Harmonien, Wendungen, raffinierte Einsprengsel, Klassik: romantische Komposition, dramatische Lösungen, lyrische Interplays. Zudem ist hier ein Bach-Motiv verfremdet eingebracht, singt dort die Solostimme ein zappaeskes Motiv (die Kopfstimme im zweiten Track), sind vielfach kleine und große Motive als markante Muster an Ecken und Kanten gesetzt, Akzente und Brüche zu gestalten.
Eine konkrete Anlehnung an ein Vorbild oder ähnliches gibt es indes nicht. Nikitas Kissonas beweist auf "Suiciety" großartige und ernsthafte kompositorische Qualität, hohe Inspiration und starke Ausdruckskraft, die sich nicht stilistischen Vorstellungen beugt oder Hörgewohnheiten anbiedert. Besonders gefallen mir die sanft strengen klassischen Kompositionsstränge, vielfach von Rockinstrumentarium durchwoben, symphonisch wie in der ersten Hochzeit des Progressive Rock, daneben aber selbständig als klassische Komposition wahrnehmbar. Sehr überzeugend sind die Wechsel der einzelnen Songthemen, wenn zum Beispiel ein Track endet, habe ich Angst, dass nicht alles ‚reinpasst', was rein muss. Dies ist immer der beste Eindruck von Musik: schaffen die das wirklich noch bis zum Ende? "Suiciety" habe ich in den letzten Wochen jeden Tag, vielfach mehrfach gehört. Das Album ist mit jedem Durchhören stetig gewachsen. Beim ersten Mal ließ "Suiciety" noch einen fahlen Eindruck, als fehle etwas, seien Passagen nicht so ausgebaut, wie ich mir das zuerst dachte. Wie gesagt, "Suiciety" lehnt sich keinen Hörvorstellungen an. Es zieht den Zuhörer in seine Welt, die muss er erst erobern. Und nur, wer das Album wieder und wieder hört und sich in die kraftvolle, lustvolle Musik einhört und den Werdegang zulässt, wird die Vorstellung Nikitas Kissonas' vollständig nachvollziehen können.
Gewiss ist "Suiciety" erkennbar ein Progressive Rock - Album. Aber keines, das Retro-, Neo-, New-, Old-, Modern-, noch sonstige stilistischen Schubladen bedient. Methexis hat eine klare, konkrete kompositorische Vorstellung und baut diese selbstbewusst und themenrelevant aus. Dabei nutzt Nikitas Kissonas Rock- und Klassikinstrumentarium, seine Vorstellung in eigener Intention umzusetzen. Und sicher, da sind Einflüsse aus Jazz Fusion, Progressive Rock klassischer Bauart, Brass- und Hardrock, Funk, eingängiger wie hochkomplexer Musik. Doch wie diese Merkmale verwoben sind, das ist die eigene Klangsprache. Hochdramatisch hier, leger dort, melancholisch, verträumt, überschäumend, sanft oder verspielt, satt rockend oder Funk-getrieben, die unsagbar vielen Facetten, Brüche, Themen, Auflösungen und Überleitungen sind stets hochmotiviert, es gibt keine Stellen, die fehlerhaft oder unüberlegt sind, die Notlösungen oder weniger inspirierte Lücken überbrücken müssen, nichts da. Etwa im dritten Track "The windows' cracking sound": eine melancholische Stimme singt zu blecherner Gitarre, eine heftiger Schlagzeugtrack schlägt ein, versandet, die Stimme übernimmt das erste Motiv wieder. Wie hier laut und leise, melancholisch und forsch verwoben wurden: alle Achtung!
"Suiciety" ist in vier Chapter unterteilt, es geht mit dem letzten los, in dem es nur einen Track gibt. Darauf folgt Chapter I mit fünf Einzeltracks (die insgesamt durchlaufen, ineinander übergehend), Chapter II besteht aus zwei Tracks, Chapter III zuletzt wiederum aus einem.
Nikitas Kissonas macht mit "Suiciety" nicht den Eindruck, gefallen zu wollen. Gewiss ist ihm die Ästhetik des Progressive Rock Vorbild, und er drückt sich so aus, dass die geübte Freakschar ihn versteht, seinen Ansatz nachvollziehen kann und will. Doch da sind keine Ähnlichkeiten zu klassischen oder modernen Bands der Szene. Dies ist ein Album der Extraklasse, das Nachfolger anlocken kann und mit seiner vielseitigen, eklektischen Kompositionsstruktur tendenzielle Möglichkeiten im Progressive Rock aufmacht, sich gen großer Besetzung (Bläser und Streicher neben dem Rockinstrumentarium) und hochqualitativer Komposition (wie in der Klassik) zu orientieren. Wie sich allein das 8:20 Minuten lange "Sunlight" instrumental entwickelt - - - und der Gesang darin passiert, zum Heulen schön! Gleich im Anschluss: "The relic" beginnt in Hammillscher Intensivität - und hat 8:28 Minuten, sich auszutoben. Exzellent!
Fast habe ich den Eindruck, hier einem Theaterstück oder Hörspiel zu lauschen, das von intensivster Musik ausgedrückt wird, dabei nicht mit theatralischen Möglichkeiten spart und viele Lebensfacetten so ungemein treffend und charakteristisch unterschiedlich auszudrücken weiß.
Absolut ein Album mit hohem Suchtfaktor und hinreißend raffinierten kompositorischen Elementen voll Lebenssaft und intensiver Dramatik kann "Suiciety" nur unbedingt empfohlen sein.

methexis.bandcamp.com
methexisproject.com
justforkicks.de
VM



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