Metal Special

Pitbulls in the Nursery "Lunatic" (Black Lotus Records, VÖ: 24.02.2006)
Gory Blister "Skymorphosis" (Mascot Records, VÖ: 30.01.2006)
Decapitated "Organic Hallucinosis" (Earache Records 2006)
The Berzerker "World of Lies" (Earache Records 2006)

Die Zeiten, in denen Mütter Angst um ihre Kleinen hatten, als die anfingen, sich für Heavy Metal zu begeistern, sind längst vorbei. Heute findet jede Art hartes Metal, selbst unterirdischer Brutalmetal, in jedem Actionfilm ab 6 Jahren oder in waffenstarrenden Computerspielen statt. Und die Werbung hat die harten Klänge für sich entdeckt (Autos, Mobiles…). Die Urväter der lauten Musik haben längst Rente beantragt oder sehen mittlerweile so arg lächerlich aus, dass man sie von jeder Bühne entsorgen müsste.
Einst war New Wave Of British Heavy Metal für viele Bands und Fans ein Heiligtum. Manowars aggressive Agitation brachte glühend bewundernde Teenager in Metalcliquen zusammen, die Defenders genannt wurden. In den Achtzigern war noch alles möglich. Doch dann kam der große Split und heute gibt es einen großen Teich voller unterschiedlicher Vorlieben, wer weiß das nicht…
Angenehmer Weise hat sich mit dem Wiedererstarken der komplexen Musik in der Rockmusik auch so manche Metalband von verflixt kompliziertem Liedgut angesteckt und präsentiert ihren Stil handwerklich versiert und ungemein anspruchsvoll. Dazu gehören die Franzosen Pitbulls in the Nursery, deren extrem technischer Death Metal Fans von Meshuggah oder Atheist gefallen dürfte. Zwar hält sich der Anteil an Jazzharmonien in Grenzen und liebt die Band es über alle Maßen, extrem schnell und mit schweren tiefen Riffs die Ohren zu bedröhnen, aber der Melodieanteil sowie die bestaunenswerten Komplexrhythmen machen der Band alle Ehre. Was ich jedoch wohl niemals verstehen werde, ist der Gesang der Deathmetaller. Das Grunzen ist nichts weiter als spätpubertäre, subkulturelle Lächerlichkeit und verunstalt die Musik aufs Gröbste. Ich wünschte mir diese Musik instrumental und wäre ein großer Fan. So ein fabelhafter Krach extrem differenziert und fein ziseliert gespielt ist beeindruckend. Der "Gesang" ist Scheiße. Ganz in meinem Sinn ist der 10-minütige Hidden Track. Komplex, psychedelisch, romantisch, metallhart und verrückt komplex - und fast ohne Gesang.
Gory Blister gefallen mir gesangstechnisch schon etwas besser. Hier wird nicht gegrunzt, sondern gekrächzt, gekratzt, geschrieen, gebrüllt - alles längst nicht so wild wie Grunzen, aber ebenso wenig toll und selbst kein Stück beängstigend. Wenn Gory Blister denken, dass der Monstergesang abschreckend wirkt und die Härte der Musik unterstreicht, dann stimmt das nur teilweise. Zuerst kommt das einmalige Erschrecken, danach ist der Gewöhnungsfaktor umso größer und nichts kann den Hörer mehr schrecken. Letzten Endes wird mit Metal ein Schrecken angestrebt, der niemals erreicht werden kann und mit immer stärkeren Attacken die Gewöhnungsschwelle der Fans und ihrer Mütter höher legt, so dass zum Schluss jeder Opa im Altersheim vor dem Metalsender im Radio sitzt und denkt, was macht mein kleiner süßer Enkel da nur wieder?
Die 14 Songs sind in der Grundstruktur nicht besonders ausgeflippt, aber die Band hat es drauf, Instrumentalattacken im Miniformat abzuschießen, die grandios sind. Da geht es verteufelt komplex zur Sache, schöne Sache, das. Doch dann kommt wieder die Vokalabteilung und man muss auf nette Dinge warten, bis die theologischen Epen ausgesungen sind. Die Jungs auf der Innenseite des Backcovers sehen etwas angejahrt aus. Ob sie stolz darauf sind, im ausgereiften Alter noch so hart zu musizieren? Hoffentlich! Dem Sänger wünsche ich einen stillen Kurort für die aufgekratzten Stimmbänder!
Die Tracks auf den Promo-CDs von Earache sind nicht nur in 99 kleine Schnipsel zerhackt, damit niemand sie brennen kann, neuerdings quatscht so eine dämliche Stimme promotionmäßig in die Musik rein. Das macht große Freude, so dass zu sagen bleibt, dass Decapitated harte Musik machen. Einen Sänger haben sie auch. Oder ist das ein Hypnotiseur, der die Fans, die sich im Laden die CD antun, beeinflusst, den Silberling zu kaufen? Die CD gibt es als Dual Disc, auf der DVD-Seite gibt es zusätzlich eine Show vom November 2005 zu sehen.
Auch The Berzerker verfügen über einen solchen Hypnotiseur. Ihre Musik ist nicht mit der der vorher hier genannten Bands zu vergleichen. Ihre Songs sind wie Presslufthämmer, so was wie Gesang gibt es auch, der klingt wie Mittelwelle im Weltraum. Oder: die Untoten kommen wieder.

VM



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