Ragazzi - website für erregende Musik



 
 
 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
 

 


 


 


 


 


 


 


 


 

Master Massive "The Pendulum" (ViciSolum Productions 2015)


Eine komplex strukturierte Rock-Oper mit einem Sänger, der stellenweise an den jungen Bruce Dickinson, John Arch, Damian Wilson oder an Messiah Marcolin, die Ausgeburten der vokalen Genialität schlechthin, heranreicht - kann es so etwas wirklich geben? Bis ich reif für ein solches Urteil und damit diese Rezension war, habe ich die komplette CD - immerhin über 70 Minuten lang - mindestens zwei dutzend mal angehört, deshalb erklingt an dieser Stelle ein klares JA. Eine derart herausragende Stimme wie die von Jan Strandh, der außerdem noch diverse Sechssaiter wie ein Weltmeister bearbeitet, habe ich lange nicht gehört; in jeder Hinsicht variabel, emotional und technisch beschlagen! Um es gleich vorwegzunehmen: Mein einziger Kritikpunkt bei dieser Aufnahme ist der Sound, der leider nicht ganz so transparent ist, wie es die überragenden Kompositionen verdient hätten. Von den Musikern wird dieses Manko aber mehr als wett gemacht. Die Rhythmusgruppe glänzt wie eine Speckschwarte, besonders gut gefällt mir Petter Karlsson, der einer der versiertesten Trommler im gesamten Heavy-Bereich ist, an Schlagzeug, Keyboards und Chor-Gesang, aber auch der Basser Karl Nyhlin, der daneben Mellotron, Laute und Theorbe spielt, ist ein klasse Mann. Im Vergleich zu Seifen-Opern wie "Avantasia" gewinnt "The Pendulum" haushoch. Wird "Avantasia" in diesem Zusammenhang durch einen Flachbau in Platten-Bauweise repräsentiert, so überzeugt "The Pendulum" als gekonnnter Mix aus der Villa der Familie Munster und dem Hundertwasser-Haus in Wien. Überhaupt klingt die Musik wie ein Hybrid aus den Bands Candlemass, Pain Of Salvation zu ihren Metal-Zeiten und Fates Warning mit etlichen für Arch typischen Gesangslinien sowie Anvil-Riffs - manchmal ist man gar geneigt zu glauben, dass die Gitarre von der Ober-Lippe selbst gespielt wird - King Diamond-Soli und Leatherwolf-Harmonik, was für einen anspruchsvollen Hörer harter Musik ein wahres El Dorado darstellt. Natürlich gebührt auch dem Rhythmus-Gitarristen die entsprechende Anerkennung; Yngwe Frank füllt jedes noch so kleine Löchlein auf der Straße zum Ruhm mit bitumenösem "Getöse". Einige Gäste an Instrumenten wie Krummhorn, Cello oder Orgel bereichern die Klangpalette nochmals; die Vokal-Schub-Lade wird mittels diverser Power-Sängerinnen mit heißem Eisen beschlagen. Beim Hören der Musik von "The Pendulum" glaubt man fast eine Zeitreise in die Neunziger zu unternehmen, was gar nicht so falsch ist, wenn man bedenkt, dass diese Band seit dem Jahr 1993 existiert und dies ihre erste Veröffentlichung ist. Zum Text-Konzept ist zu sagen, dass es gar nicht zum viel zitierten Kampf zwischen Gut und Böse - wer maßt sich in diesem Kontext an, bestimmen zu wollen, was "gut" und was "böse" ist - kommen muss, denn das Pendel kann durch kosmische Einflüsse von jetzt auf gleich senkrecht nach oben zeigend in dieser Position verharren und damit die auf der Erde herrschenden Verhältnisse auf den Kopf bzw. vom Kopf wieder auf die Beine stellen. (Als Stichworte in dieser Hinsicht mögen Polsprung, Aufhebung der Neigung der Erdachse zur Ekliptik in einem Winkel von 23,5 Grad und Zerstörung des Erdmagnetfeldes dienen. Wenn etwas zerstört wird, muss dies nicht immer für alle von Nachteil sein...) Kurzum, jede künftige Rock-Oper wird sich an "The Pendulum" messen lassen müssen, wenn sie vor dem gestrengen Urteil anspruchsvoller Musikfreunde bestehen möchte. Einige Fragen bleiben: Wann erscheint das nächste Album von Master Massive? Kann die Band die auf "The Pendulum" gezeigte Leistung toppen? In welche Richtung wird sich das Pendel bewegen, wenn es aus seiner Schock-Starre befreit werden wird und wo liegt sein Schwerpunkt? Um welche Art von Pendel handelt es sich überhaupt - etwa ein Tripel- oder "Chaos"-Pendel?

mastermassive.bandcamp.com/releases
Frank Bender



Zurück