Manna/Mirage "Blue Dogs" (New House Music 2015)


Es war einmal eine Band namens The Muffins. In einem Land vor unserer Zeit. Dort wurde wunderbare, einzigartige Musik gespielt. Die Musiker waren jung und hungrig, gierig nach Jazz, Free Jazz und extravagantem Rock. Einige Jahre hielten The Muffins ihre Musik auf hohem Niveau, bis sich die Energie verlor, weil das Publikum der Band Erfolg versagte. Das sprengte die Band.
Und die Zeit verlor sich. Nebel legten sich auf die Erinnerung und nur einige Musiksüchtige Privatwissenschaftler hielten das Wissen um die wertvollen Konserven der Band am Leben. Bis eine neue Zeit anbrach. Auf die Vinyl-Ära, die in tiefem Popsumpf verendete, folgte die CD-Ära und ein ganzes Genre erstand neu. Was einst groß und mitreißend, indes längst vergangen und verschollen, wurde neu aufgelegt und kam zu neuen Ehren. Nun konnte die ‚alte' Musik spätere Generationen erreichen; entfachte mit starkem Einfluss Neugierde und Genuss, was schließlich die Band, zu der das positive Echo der neuen, jungen Musikhörer zurückkehrte, reaktivierte und sie wieder und neue Musik erfinden und spielen ließ. Im zweiten Frühling. Historische Aufnahmen wurden neu aufgelegt, erstklassiges Archivmaterial fand, zum ersten Mal, den Weg ins Publikum. Neue Alben wurden eingespielt und veröffentlicht. The Muffins, Fundamentträger des Labels Cuneiform und Mitbegründer des Verlages, der die Zeiten überdauerte und sich stets neu erfand, erlebten nun das Remastering ihrer alten Werke neben der Auflage der neuen.
Doch auch diese Zeit verging und erneuter Nebel legte sich über die nun ergrauenden Häupter. Aus den jungen Männern mit wild wucherndem, langen Haar wurden gestandene, reife Erwachsene und aus diesen Erwachsenen schließlich graue Herren. Die indes nicht mit griesgrämiger Giftmiene am Horizont des Lebens saßen und ihre Bitterkeit über den Rausch der ungemein schnellen Veränderung auf dem Heimatplaneten verteilten, sondern den hoffnungsfroh sich weiter entwickelnden Musikzirkus beobachteten und dabei in vitaler Frische blieben, was einige Kreativität barg, die sich erneut, im dritten Frühling, über die geneigten Häupter der Musiksüchtigen Zuhörer ausschütten sollte.
Ein erstes frisches, neues Markenzeichen ist nun "Blue Dogs" des nach ihrem ersten Album Manna/Mirage nun genannten Projektes. Die Kompositionen stammen aus der Feder des The Muffins - Begründers Dave Newhouse (keys, woodwinds, drums), der mit seinen alten Kollegen Billy Swann (bass) und Paul Sears (drums) [lediglich Tom Scott fehlt also] sowie dem Zuwachs Mark Stanley (guitar), George Newhouse (drums) und Steve Pastena (french horn) sieben Songs einspielte, die 35:25 Minuten füllen und zum freien Kauf angeboten werden.
Der typische The Muffins - Sound macht sich gleich mit dem Opener "Canterbury Bells" auf. Und gewiss, auch das, wovon der Song spricht. The Muffins sind die amerikanische Antwort auf die Progression des speziellen Canterbury - Jazzrock, in der Komplexität der Themen und Harmonien, dem Reichtum der instrumentalen Lyrik, der insgesamten Vielschichtigkeit des musikalischen Materials. Damals wie heute. Und klar, nicht bestimmend, aber im Atem der neuen Songs liegt eine leichte nostalgische Patina, wie sie es schon auf den drei The Muffins - Alben der Nullerjahre gab.
Indes greifen milde Jazzdisharmonien auf toughen Rockrhythmen noch immer kernig und ausdrucksstark aus. Tasten und Gebläse, volumiges Baritonsaxophon, Tenorhorn und Waldhorn schmücken den jazzdurchfluteten Raum, der auf erstaunlich zartem Jazz/Rock-Rhythmusteppich in seine leichtschweren Minuten zieht und nach wie vor bannt und mitreißt. Hört euch nur den Beginn des 7 Minuten laufenden "Muffin Man Redux" an, wie hier die fräsenden Bläsersätze rhythmische Akzente setzen, während die Gitarre, genau, Gitarre, wie einst zu Beginn des Muffins-Zeitalters, solistische Extravaganzen setzt und Jazz schneidend rockt. 1978 ist noch nicht zu Ende. Dieser vielleicht stärkste Song auf dem neuen Werk entführt mit unverminderter Kraft an die Basis der Band zurück und vermittelt den stärksten Muffins-Eindruck seit 1994, als die Veröffentlichung der letzten bislang nicht öffentlich gemachten Demo- und Archivaufnahmen auf CD gebracht ins Volk geschüttet wurden.
Doch die anderen sechs Stücke stehen nicht nach. Hier ist so elegant und vital die originäre Muffins - Handschrift zu erfahren, dass die 35 Minuten, kaum ausgespielt, noch einmal ins Gehör wollen. Dann wieder. Nichts Negatives zu vermelden. Nichts? Nö. Warum? Die kurze Spielzeit? Besser dies als leeres Getöse.
Im Gegenteil. Es gibt Gutes zu verkünden. Nach "Blue Dogs" ist nicht Schluss. Das nächste Projekt sind drei (!) separate CDs mit Tapes der Muffins, die ab 2016 angekündigt sind. Zudem wird es ein weiteres Album unter dem Projektnamen Manna/Mirage geben, dessen musikalisches Material schon komplett komponiert und weitgehend eingespielt ist.
Kein Ende noch.

mannamirage.com
VM



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