Martin Maheux Circle "Sibylle" (Unicorn Digital 2006)

Noch während Martin Maheux 1997 für sein Diplom im Fach Jazzinterpretation auf der Université de Montreal studierte, spielte er die Schlagzeugspuren der Songs des Debüts des just gegründeten Jazzrock-Projektes Spaced Out ein, das 1998 veröffentlicht wurde. Im Jahr darauf ging er mit Spaced Out auf Kanada-Tournee. 2001 folgte die 2. Spaced Out CD, im gleichen Jahr arbeitete Maheux mit einem Jazzprojekt locker zusammen, das in der Folge konkrete Formen annahm. Das Projekt bekam seinen Namen und 2002 veröffentlichte das damals noch Unicorn Records genannte Label Unicorn Digital das Debüt "Physics of Light".
Neben seinem stets gewachsenen Engagement in Spaced Out, deren 4. CD-Veröffentlichung noch für die erste Hälfte 2006 zu erwarten ist, hat Martin Maheux sein Jazzprojekt nicht vernachlässigt. Die Kompositionen für die jetzt Anfang 2006 veröffentlichte 2. CD des Martin Maheux Circle wurden über einen langen Zeitraum geschrieben und überarbeitet. Maheux' Plan ging dahin, sein Jazzensemble mit klassischem Instrumentarium zu erweitern und stilistisch in klassische Strukturen aufzubrechen. "Sibylle" ist eine Fusion aus Moderner Klassik und Jazz. Beide Stile finden wenig nur zusammen statt, gehen jedoch ineinander über und geben die Themen ab, die sodann in veränderter Musiksprache interpretiert und variiert werden.
Martine Gaumond (vi), Sarah Ouellet (a-vi), Catherine Lesaulnier (ce), Jérémie Cloutier (ce) und Ivanoe Jolicœur (tr, fl) spielen die klassischen Spuren, Éric St-Jean (p) und Martin Maheux (dr) mit Unterstützung von Ivanoe Jolicœur den Jazzpart. Jedoch ist die Trennung nicht komplett, Maheux' setzt sein Schlagzeugspiel wie St-Jean das Pianospiel auch im klassischen Bereich ein, während die Streicher partiell die abstrakten Jazzlinien nachvollziehen und die Themen jazzig variieren und improvisieren.
Auf der ersten CD "Physics of Light" (2002) waren die Stücke erheblich kürzer und eigenwilliger, abstrakter, die Themen hatten nicht die epische Orientierung wie die auf "Sibylle". Gerade einmal 6 Tracks füllen "Sibylle" aus. Das längste Stück ist "Aller Simple", in dem verschiedene Themen ineinander übergehen und die Band virtuos improvisiert, das findet ebenso im folgenden "Métamorphose" statt, in dessen Mitte Maheux' ein lebhaftes, aber zurückhaltendes Schlagzeugsolo spielt. Das Thema von "Métamorphose", das sich hin und wieder in den Improvisationen verliert, kehrt zur Dynamisierung des Stückes immer wieder zurück, um die Band zu neuen Ausflügen zu animieren. Fabelhafte Idee, nach dem nervösen und lebhaften Thema, das sich weit ausdehnt, die klassische Komponente zart und lyrisch zu gestalten.
Im schwerfälligen und düsteren Klassikstück "La Danse Des Cadavres" scheint die Arbeit der Streicher partiell wenig dynamisch. Fast scheint es in lebhaften Momenten, als verfalle das Ensemble in Statik. Die Komposition hat deutliche Schwächen und macht den Eindruck, als übten unwillige Schüler auf ihren teuren Instrumenten. Nach dem einführenden Streichermotiv verliert sich der Eindruck jedoch und die Komposition wird lebendig und intelligent, hat Wärme und Einfühlung mit klarer Artikulation, die im weiteren Verlauf immer vielschichtiger, komplexer und melancholischer wird.
Mancher Wechsel, gerade von der Klassik zum Jazz, wirkt erst etwas gewöhnungsbedürftig. War hier die klassische Interpretation abstrakt und streng, spielt die Jazzabteilung lockeren, eingängigen Modern Jazz mit geradezu vergnügter Lässigkeit und melodischer Genügsamkeit. Andersherum ist es ähnlich, wo eben noch entspannender Jazz improvisierte, fügt sich die Stimmung dem plötzlichen ernsthaften und dunklen Ton. Das ist in "Mauvais Cirque" und "Résignation" am deutlichsten.
Dennoch ist "Sibylle" als Experiment glücklich verlaufen und macht einen überraschenden und positiven Eindruck. Das technisch dynamische Spiel ist bis auf die eine Ausnahme in "La Danse Des Cadavres" ausgezeichnet gelungen, die Dynamik der Stücke mitreißend, die stilistischen Brüche ein nach dem ersten Hören überraschendes Erlebnis. Allein Maheux' extravagantes und ausgefallen technisches, dabei in den lockeren Jazzparts genügsames Schlagzeugspiel ist außergewöhnlich gut. Reinhören!

unicorndigital.com
VM



Zurück