Loomings "Everyday Mythology" (AltrOck 2015)


Das aktuell schrägste, unvergleichlichste, experimentellste, liebenswürdigste und wahrhaft progressivste Album legt das Loomings genannte Projekt des in Strasbourg lebenden Italieners und Schlagzeugers Jacopo Costa vor. Jacopo Costa spielte in Yugen, Empty Days, Factor Burzaco und Not A Good Sign - gute Schule für sein eigenes Projekt, das zu AltrOck passt wie Feuer an die Zigarrenspitze.
Es geht um Songs. Die ein etwas ungewöhnliches Arrangement haben, kaum eingängig und leicht nachvollziehbar sind und ein Aushängeschild für aktuellen Avant Prog sein können, wenn das (kaufende) Publikum dies zulässt. Der Schlagzeuger spielt allerhand Arten Schlagzeug & Perkussion, akustisches und elektronisches, dazu Vibraphone, Piano, Synthesizer, Glockenspiel - und singt. Begleitet wird der Loomings-Initiator von Enrico Pedicone, ebenfalls Schlagzeuger, an Vibraphon, akustischem Drum-Set, Glockenspiel, Tubular Bells und Percussions. Louis Haessler besetzt die Bass-Position und drei Sänger, klassisch ausgebildete und ebenso klassisch arbeitende Sänger, Maria Denami, Ludmila Schwartzwalder und Benoît Rameau, ergänzen das Line-Up. Die beiden Damen spielen zudem Kazoo, ein Membranophon, fast ein Spielzeug, indes ein Instrument.
Gäste an Saxophon, Keyboards, Trompete waren partiell eingebunden, ebenso für Samples. Sämtliche Tracks schrieb Jacopo Costa, einen gemeinsam mit seinem Schlagzeug-Compagnon Enrico Pedicone. An zwei Stellen wird "Black Dog" von Led Zeppelin kurz eingebracht, einmal "Big Leg Emma" von Frank Zappa. Klassische Rock-Einflüsse sind also ebenso im Fokus der Band wie Progressive Rock, Avantgarde Prog und Neue Musik.
Die beiden Damen können durchaus einmal ("Sweet Sixteen") hübschen Uralt-Rock'n'Roll intonieren, indes sind sie zumeist, wie ihr männlicher Gegenspieler, in enorm abstrakten, aufwendig anspruchsvollen und nicht leicht nachvollziehbaren Gesangsstrukturen aktiv.
Leichtestes trifft auf äußerst Komplexes. Typische Arrangements sind hier nicht zu erwarten, was zum einen am Einsatz der Instrumente, den allgemeinen Arrangements und den gegen jeden Hörstrich gehenden Kompositionen liegt.
Zu den Texten selbst kann ich kaum etwas sagen - schaut euch das Booklet an. Was zu lesen und verstehen ist, lässt auf scharfe Ironie schließen, hat dadaistische Züge und ist sehr persönlich - und eigen.
11 Tracks sind auf der CD (59:06 Minuten). Die knappe, satte Stunde ausgefallener, rhythmisch geprägter, stark vokallastiger, experimentell ideenreicher und verflixt überraschungsreicher Musikkunst geht weiter als das, was im Chamber Rock passiert, streift dieses Genre, wenn überhaupt, nur wenig, ist kaum mit herkömmlicher Rockmusik (oder Prog, am ehesten noch mit Avantprog oder RIO - etwa Factor Burzaco) zu vergleichen, sehr eigenständig und von einer hinreißend großartigen, erlesen witzigen, leichten, dynamischen Rasanz, das immer wieder zu staunen bleibt, das so etwas überhaupt möglich ist, dass ein begabter Kopf diese Stücke dachte, erfand, komponierte, mit seiner Band einspielte.
Meines Erachtens nach ist Loomings "Everyday Mythology" das Beste, was derzeit im Bereich progressiver Musik nur überhaupt existiert. Diese Weiterbildung für fortgeschrittene Süchtige progressiver Rockmusik ist absolut und unbedingt notwendig!
Ganz persönlich mein Highlight 2015 - und das soll erst einmal getoppt werden!

altrockproductions.bandcamp.com/album/everyday-mythology
VM



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