Live "Live" (Eigenproduktion 1974, Garden of Delights 2006)

Norbert Aufmhof (key, fl) gründete 1971 in Unna die Schülerband Jonah, aus der nach ihrer Auflösung im selben Jahr das neue Projekt Live wurde. Dazu gehörten Martin Knaden (g, voc), Gerd Schmidt (b, voc) und Klaus-Jürgen Schimmel (dr). Der technisch hochqualitative Klassikrock des Vierers fand zunehmend Anerkennung, so dass Live bald nicht nur in Clubs, sondern auch auf großen Festivals auftraten. 1972 verließ Knaden Live und ging in seine Heimatstadt Berlin zurück, wo er Curly Curve gründete. Gerd Klein von der Gruppe Arnold Fishkin füllte seine Position aus. Der Bühnenerfolg ging weiter, im anekdotenhaft erzählenden Booklet zur CD kann man sich einen lebhaften Eindruck davon machen.
Auf Grund des Erfolges kamen Live auf die Idee, eine Platte einzuspielen. Anfang 1974 nahmen sie in im Tonstudio Wedesbüttel 5 Songs auf, es wurde jedoch nichts mit der Veröffentlichung. Später ging die Band erneut ins Studio, spielte zwei weitere Songs ein, die als Single veröffentlicht wurden. Wegen Überlänge der Stücke lief die Single mit 33 Umdrehungen.
Nach Meinungsverschiedenheiten kam es zu personellen Wechseln, bis zum Herbst 1976 gab es die Band in diversen Besetzungen, 1985 gab es eine einmalige Reunion. Bis heute sind die meisten ehemaligen Bandmitglieder der ersten Besetzungen musikalisch aktiv, es wird, so geht es aus dem Booklet hervor, sogar über eine Wiedervereinigung mit Martin Knaden gesprochen.
Die Single wurde im Laufe der Jahre zu einem gesuchten Sammlerstück. Gerd Klein ist es zu verdanken, dass 1985 eine LP mit allen sieben 1974 im Studio eingespielten Songs in der Auflage von 500 Stück aufgelegt wurde, die längst ausverkauft ist. Im Jahr 2004 wurde eine weitere LP veröffentlicht, die unter dem Titel "Gevelsberg" fünf live im Jahr 1975 aufgezeichnete Stücke enthält.
Die 7 Studiosongs aus dem Jahr 1974 sind nun samt einem 14-minütigen, live eingespielten Bonustrack aus dem Jahr 1971 das erste Mal auf CD aufgelegt worden. Der Klang ist, vor allem im Gesang, der "kratzt", wenig ausgewogen, zudem etwas dumpf, gerade, was die Rhythmusarbeit anbelangt. Dennoch sind die technisch anspruchsvollen Songs mit ihren aufwendigen, komplexen Arrangements auch klangtechnisch angenehm zu hören.
Norbert Aufmhof hat mit seinem Keyboardarsenal und seiner Flöte den größten melodischen Spielraum. Gerd Klein kann sich mit seinem erfrischend harten Gitarrenspiel nur wenig, zumeist an den Eckpunkten der Songs, wenn harmonische Wechsel dran sind, oder mit Soli durchsetzen. Bassist Gerd Schmidt spielt hochmelodisch und technisch versiert, beeindruckend exzellent, Jürgen Schimmel ist gewiss nicht der begabteste Techniker als Schlagzeuger, es gelingt ihm dennoch, komplexe und stetig "arbeitende" Rhythmen und wilde Breaks zu spielen.
Die 7 Songs sind hochmelodisch, stark von romantischer Klassik und Symphonic Rock inspiriert, es passiert einiges in den Tracks. Manchmal habe ich den Eindruck, dass auch die holländischen Alquin als konkrete Inspiration dienten.
Der Gesang ist nicht die besondere Stärke der Band, was nicht nur am Klang liegt. Die Sangesstimmen sind etwas zart, was an ihrer Jugend liegt. Die Gesangslinien jedoch überzeugen auf der ganzen Linie, da hat die Band sehr gute Ideen gehabt. Die Texte, nicht im Booklet aufgeführt und auf Grund des Klanges der Stimmen nicht stets nachzuvollziehen, sind romantisch und verträumt, und passen damit sehr gut zur Musik der Truppe.
Der Bonustrack heißt "Jazz", ist ein Jazzrocker früher Spielart, mit Blues im Blut, die Band zeigt noch nicht unbedingt ihr von der Klassik inspiriertes Gewand und hängt sich heavy und hart in die Seile. Der Song ist noch mit Martin Knaden eingespielt worden, der sich gegen Norbert Aufmhof besser als sein Nachfolger durchsetzen konnte. Das Stück lässt im Klang um einiges nach, ist aber zu genießen.
"Live" ist für Freaks der alten Progressive Rock Schule interessant. Die erstaunlich hochqualitativen Songs sind, trotz des eingeschränkten Klanges, eine echte Entdeckung.

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VM



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