Ligro "Dictionary 3" (Moonjune Records 05_2015)


Power Trio per definitionem! Die Indonesier Ligro rocken durch 5 rein instrumentale Songs, deren lediglich einer unter 11 Minuten lang läuft. "Lonely Planet" am Ende der CD ist mit 8:20 Minuten der kürzeste Track, die CD bringt es insgesamt auf 63:50 Minuten Spielzeit - und keine Sekunde davon ist überflüssig!
"Dictionary 3" ist meiner Meinung nach eines der besten Alben, die das Label Moonjune Records bislang überhaupt veröffentlichte. Und Meilen besser als sein Vorgänger, und schon der war nicht zu verachten.
Agam Hamzah (g), Gusti Hendy (dr, perc) und Adi Darmawan (b) samt Ade Irawan (p, keys, Gast im ersten Stück) machen nicht unbedingt alles richtig. Aber wie sie rocken und pausenlos das enormste Jazzrock-Gewitter abfahren, ist sensationell!
Mit dem ersten Track erinnern Ligro mich auf "Dictionary 3" an die Japaner Bondage Fruit nach deren Zeuhl-Phase, als sie Psychedelic Noise, Progressive Rock und Jazzrock ausgefallen und extravagant bastelten. Ligro sind da nicht so weit entfernt.
Und doch ganz anders orientiert. Die ellenlangen Songs sind improvisativ strukturiert. Es gibt die Basiskomposition, zu der das Trio immer wieder zurückkehrt. Und die rasante, brachiale Exegese, die - in aller Ruhe abläuft.
Bassist Adi Darmawan schrieb drei der fünf Tracks, letztlich ist es aber die gemeinsame Arbeit des Trios (+ Gast), die alle Wucht und Virtuosität entfalten.
Ebenso wie bei Bondage Fruit gibt es diese entfernte Nähe zum Bluesrock, die nur durchschimmert, eher Jazz als Blues ist, aber seltsam neben der Spur liegen kann. So ist "Pentagonal Krisis", über 15 Minuten lang, erst einmal in seiner Melodiesprache gewöhnungsbedürftig. Es scheint, der grandios technische Wildwuchsgitarrist Agam Hamzah liege beständig neben der Spur, was natürlich gewollt ist und das Hören erst einmal anstrengt. Und das eröffnende Schräg-Motiv lässt sich Zeit, hält den Daumen in die Wunde, schmeichelt und kratzt am Nervenkostüm.
Und dann setzt Gusti Hendy ein, der sich hier DAS Denkmal setzt. Sein Schlagzeugspiel ist enorm kraftvoll und virtuos, dabei gut geerdet und powernd, ohne auf vordergründigen Groove zu setzen. Ganz alte Rockschule, deren Wurzeln im Jazz liegen.
Adi Darmawan übt sich in äußerster Zurückhaltung, was der Kraft und Energie ungemein Spannung gibt. Er spielt langsam, ganze Töne mit langen Pausen. So entwickeln die Songs magische Wirkung, als wären sie kitzligste Krimihandlung. Über 6 Minuten treibt das Trio den Track unterschwellig voran, bis schließlich ein intensiver Härtegrad erreicht ist, der fast an Black Sabbath denken lässt. Leidenschaftliche Minuten sorgen für das schrägste Jazz-Hardrock-Gitarrensolo, dass außerhalb jeder Konvention so ausführlich und krass zu hören ist. Das Trio baut den Energielevel hoch aus, aber bleibt stets kurz vorm Kochen, und tut dabei relativ cool, so dass der Eindruck entsteht, diese schier berstende Wildheit soll ins Unendliche geführt werden. Bis dem geneigten Zuhörer so nebenbei ins Bewusstsein kommt, dass das Intro schon längst in wildem Avant Jazzrock ackert. Diese Hardrocker können Jazz! Ab 5 Minuten Restspielzeit poltert und dröhnt das so entspannt aussehende Trio seinen Song, als sei es ihm in Trance ausgeliefert.
"Tragic Hero", fast 14 Minuten dauernd, beginnt wiederum spannend still. Forsch entspanntes Bassmotiv, Beckenarbeit, zerfahren lichtes Gitarrenspiel. Komponist/Bassist Adi Darmawan hat ein Händchen für berstend spannende Motive. Es bleiben dann wieder nur 10 Minuten, um hochenergetisch zu ackern und Gusti Hendy ist, neben Agam Hamzah, der wieder schrägst jazzrockt, der Star auf der Bühne. Sein druckvoll komplexes, fett schweres und wuchtiges Schlagzeugackern macht süchtig!
Der vierte Track ist geradezu eine Frechheit, aber eine der besonderen Sorte. "The 20th Century Collaseu" lehnt sich an das "Quartett auf das Ende der Zeit" von Olivier Messiaen an, nimmt Motive daraus auf und rockt sie eiskalt und gnadenlos satt runter. Alle Achtung! Zweites Thema des beinahe 12 Minuten schluckenden Tracks: "Opus 28" von Anton Webern. Die indonesischen Avant Jazzrocker haben keine Scheu und interpretieren die abstrakte Neue Musik der beiden Komponisten des 20. Jahrhunderts mit einer Energie und Rasanz, als schrien die Kompositionen nur danach. Jede originale Ästhetik, Spannung und Klangsprache sind damit natürlich futsch, als Rock ist der äußerst abstrakt komponierte Stoff dafür exzellent geeignet. Konservativ progressive Klassikhörer werden den Weltuntergang sehen, während die progressiv progressiven Klassiktheoretiker wohl entweder schmunzeln werden oder mit elektrisierter Mähne wie Albert Einstein auf der Stelle verrückt werden.
Welche Wucht und Selbstsicherheit das Trio hier vor sich herträgt, bedeutet, mit welchem Selbstverständnis sie Musik wahrnehmen und ohne Rücksicht auf Verluste in eigener Intention umarbeiten. Die Energie und Rasanz der ‚Klassik'-Adaption hat wieder das Bondage Fruit - hafte, nur das diese Handwerker hier an ihren Instrumenten ganz anders klingen.
Die Ballade zuletzt darf nicht fehlen. Nach der wilden Reise kann diese erneute Adi Darmawan-Komposition nur für den überruhigen Pol sorgen, der die Fäden wieder zurücknimmt und die Energie Level für Level herunterfährt, fast bis ambiente Blues-Jazz-Lyrik vorherrscht, die in ihrer beinahe archaischen Dürre ein schräges Echo des Folkblues der frühen 1960er aus den Südstaaten der USA hervorbringt. Doch kurz davor reizt das Trio noch einmal die Verstärker aus und macht Krach.
Grandios!

ligrotrio.com
moonjune.com
VM



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