Ligro "Dictionary 2" (Moonjune Records 2012)

Über 73 Minuten lang rocken Ligro, als wollten sie Weltmeister im radikal technischen, nervös pulsierenden, pausenlos rasanten Jazzrock werden. Nicht erst im Erbe der Progressive Rocker Discus, deren Nachfolgeband Atmosphera eher im Progressive Poprock aktiv ist, ist in Indonesien eine progressive Szene gewachsen, deren Uranfänge in den 70ern schon für einige interessante Bands und Alben sorgten. Moonjune veröffentlicht stetig Bands aus Indonesien, deren meiste wohl aus Jakarta kommen und deren stilistische Vielfalt enorm ist. Anane, Nerv, In Memoriam oder Imanissimo waren die ersten Bands nach Discus. Heute ist die wachsende Szene vielseitig und orientiert sich in spezielle Bereiche. Leonardo Pavlikov von Moonjune Records pickt dabei die Bands für CD-Veröffentlichungen auf seinem Label heraus, die jazzgeprägt sind, und nach dem aktuellen Album des Trios Ligro sind bereits weitere CD-Veröffentlichungen angekündigt: simakDIALOG, I know You well miss Clara, Dewa Budjana, Franki Raden & Indonesian National Orchestra, Tohpati Ethnomission - es gilt, die Augen (bzw. Ohren) wach und offen zu halten.
Agam Hamzah (g), Adi Darmawan (b) und Gusti Hendy (dr) gehen im Erbe des Mahavishnu Orchestra auf, weitere Aspekte gaben: Miles Davis, King Crimson, Terje Rypdal, Jimi Hendrix, Buckethead. Stets ordentlich aufgedreht, sehr technisch und von pausenlos wie verrückt und wild intensiv getriebener Arbeitswut jagt das Trio durch seine bis zu 13 Minuten langen Songs, als müsse es ein halbes Leben aufholen, um jetzt da anzukommen, wo sie aktuell stehen. 8 Songs sind auf der CD, allesamt rein instrumental, energisch, als gelte es, Hektik und Bluthochdruck gebündelt mit Raketengeschwindigkeit abzuschießen. Der kurze Ausreißer "Miles Away" ist 4:15 Minuten lang, "Transparansi" als CD-Abschluss 13:16, 4 Tracks laufen über 10 Minuten und nirgendwo eine Spur Langeweile. Ungeübte dieser extremen Spielart werden vielleicht schnell den Mut verlieren und Angst vor dieser Walze bekommen. Geübte hören mit Genuss die exzellente Ausbreitung handwerklich allerfeinst gespielten und stets auf technische Ausübung gezielten Jazzrock - der seine zart lyrischen ‚Lücken' hat, mal ein Bach-Intro, mal ein melancholisch dämmerndes Energie-Tal, mal eine flaue Note, die als purer Rockjazz durch die Ohren zieht wie Hechtsuppe durch den Teebeutel. Das Trio sieht freundlich-harmlos aus, als könnte es an jeder Ecke Jakartas Folkjazz spielen, um Touristen die Moneten aus der Tasche zu ziehen, doch weit gefehlt, was hier abgeht, ist dramatisch heftig - und intensiv geübt. Gut zu hören, wie ausgefeilt die Songs sind, wie die Kanten und Ecken verschweißt wurden, dass die krassen und stets jazztriefenden, dabei schön saftig wie im Hardrock gespielten Komplexgewitter ihre Energiebündel gezielt scharf abschießen. Über 73 Minuten läuft die CD, die Band hält nichts zurück und hat gewiss weitaus mehr Material in petto.
Schlagzeuger Gusti Hendy ist ein Star in seinem Land, spielt mit der Popsensation Gigi, hält sich hier aber keine Yokto-Einheit zurück und weiß genau, weit weg von Mainstream und Poprock komplex-technischen Jazzrock zu trommeln. Bassist Adi Darmawan erdet die Band durch jazz-bluesig melodisches Hintergrundspiel, auf dem die beiden Mitstreiter wie balzende Männchen ihre schönste Seite rauskehren. Gitarrist Agam Hamzah, der das Trio gründete, macht so gut wie nie Pause und arbeitet zwischen Hendrix und McLaughlin, mal jazzbetonter, mal rocktypischer die progressive Jazzrocklandschaft aus, und ständig fällt ihm Neues ein - schier unglaublich. Das klassische Piano-Intro zu "Bliker 3" spielt Bassist Adi Darmawan, seine klassische Ausbildung und Handschrift ist perfekt, das Thema eindrucksvoll - davon auf CD2 bitte mehr!
"Transparansi" zuletzt dämmert jazzbedüselt durch seine 13 Minuten, stetig komplex, aber eher balladesk wird hier der Widerspruch zwischen technisch-hektischem Spiel und lasziven Energiependel besonders deutlich.
Jazzrock-Freaks werden ihre Freude haben!

ligrotrio.com
moonjune.com
VM





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