Klaus Schulze & Lisa Gerrard "Big in Europe Vol 1 - Warsaw" (Sony Music, 29.11.2013)

Schon vor der politischen Wende des Ostblocks, in dem die antiintellektuellen, beschissen muffig spießigen (mit Verlaub), pseudokommunistischen, stalinistischen Systeme der Reihe nach einbrachen und deren Vorreiter noch vor der Gorbatschow-Sowjetunion die durch die Solidarnosc kritisch geprägte polnische Bürgergesellschaft, gespeist aus politischer Untergrundbewegung, war, reiste Klaus Schulze zu Konzerten in die Polnische VR, was ihm bis heute eine treue, breite Anhängerschar einbrachte. Seitdem war der deutsche Elektronik-Pionier zahllos in Polen unterwegs - und veröffentlicht Alben, die dort live aufgezeichnet wurden.
So diese Produktion, die am 17. September 2009, zum 70. Jahrestag des sowjetischen Überfalls auf Polen, im Hof des Königsschlosses in Warschau mitgeschnitten wurde. Die CD und DVD1 enthalten das Konzert, wobei der Klangeindruck der CD insofern eindrucksvoller ist, als die eigenen Bilder im Kopf von der harmonisch reichen Musik positiv angefeuert werden. Die DVD wirkt, trotz der audiovisuell eindrucksvollen Umsetzung, eher technisch, als Gesamtkonzept, in dem die Musik nur ein Teil des Ganzen ist. Dennoch: die DVD wirkt, nicht erst, wenn Lisa Gerrard (Dead Can Dance) mit Person und Stimme auf die Bühne kommt. Klaus Schulze selbst ist als Person eher nebensächlich, er verschwindet fast vollständig hinter seinem elektronischen Equipment, wo er sich, dem Anschein nach, ganz lässig, dem Drehen an Knöpfen widmet, die den Sound manipulieren und transportieren. Er weiß, was er tut, so sieht es aus. Lisa Gerrard hat schon deutlich mehr zu tun. Immerhin steht sie als Einzelperson vor dem versammelten Auditorium, das zwar schicke Lichtgewitter zur Unterhaltung hat, aber als einziges lebendiges Wesen eine ansehnliche Frau zu Gesicht bekommt, die auch noch in harmonisch und melancholisch reicher Emotionalität arbeitet. So leicht ihr Einsatz klingt, so schwer ist er. Die beiden Musiker arbeiten intuitiv, improvisieren, gehen aufeinander ein, geben Basis und führen den Sound weiter. Während die Meute im Publikum die Dame scannt.
DVD2 enthält das 50 Minuten lange "A Moogumentary" sowie 4 Minuten "Fast & Forward" - einen elektronischen "Appetizer", damit die 50 Minuten nicht so nackt und bloß auf der Kilometer langen DVD-Zeit rumsitzen.
Zur Musik: 5 Stücke sind auf der CD, die zusammen 58:35:39 Minuten lang ist - so auf dem Backcover angegeben. Elegische Symphonien, elektronische Weiten, sphärisches Schweben, Stimmen, Sounds und Blubbern, sehr angenehm, Streicheleinheiten für Innenohr wie Gehirn und Haut. Lisa Gerrard macht ihre Sache eindrucksvoll, mit sehr hohen, weiten Tönen (die partiell in erstaunlich tiefe Sphären wechseln können) legt sie sich auf den elektronischen Teppich und bringt Schwingung und Leben in die Soundweite. Es ist das Zusammenspiel der beiden Künstler, die diese Klangwelt so schön machen. Während Klaus Schulzes Arbeit eher nicht zum Angucken ist, macht die Lady audiovisuell etwas her. Dennoch ziehe ich die CD nur unbedingt vor.
Die Produktion hat den Zusatz: Vol. 1. Die Reihe namens "Big in Europe" wird bis Vol. 3 geführt. Indes sind die im Presseblatt angegebenen ‚ausführlichen Linernotes' zum Schmunzeln.
Technische Angaben: fast nichts, dafür ein Emo-Text mit Wertangaben. Nun ja! Und: nix polnisch. Nur deutsch und englisch.

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