V.A. "One More Red Nightmare - A Tribute To King Crimson" (Burg Herzberg Verlag 2010)

Tribute-Alben sind en vogue - aus diversen Gründen. Zum einen ist die populäre Musik von einer Fülle exquisiter Vorbilder begründet, was den immer wieder nachrückenden Jungmusikern Inspiration ist, zum anderen, weil alle bis ins Detail gepflegten Stile längst Ausdruck gefunden haben, weil Musik endlos ist und Emotionen weckt, weil Songs geil sind, weil Musiksucht Erfüllung ist, weil Rock'n'Roll besser ist als Sex, weil die Körperchemie Musikradikale braucht, um im Alltagseinerlei nicht zu verkümmern und weil es schon immer Spaß gemacht hat, "alte" Songs zu hören, zu spielen, zu covern, seinem Vorbild die Ehre zu erweisen, sich daran auszuprobieren, seine Variante zu Gehör zu bringen, seine eigene Meinung zu entwickeln. Ein jeder Musiker, eine jede Band hat ihre eigenen Beweggründe, Songs anderer Bands zu spielen. Vielleicht auch, weil dieser Song in jener Einspielung Mist ist und ich es gewiss besser kann, und eigentlich, eigentlich, da steckt Blut in der Komposition und der Stil ist falsch oder blöd, und meine Version macht den Song lebendig. Meine Version wird die Krönung dieser Komposition sein!
Die halbe Popmusik ist erfolgreich mit Songs anderer Künstler, allein, was Three Dog Night so veranstaltet haben, ist grandios. Die Band hat damit Geld für bis zum Sanktnimmerleinstag verdient (für bis zum).
"One More Red Nightmare" - King Crimson ist eines der ganz großen Vorbilder. Nicht nur in der progressiven Rockmusik. Ob Metaller (aller Arten), Alternatives, Grunge-Rocker, Punks, Elektroniker, Liedermacher (Heinz-Rudolf Kunze) oder moderne Ensembles in der klassischen Musik - wie Pink Floyd, Led Zeppelin, Frank Zappa, The Beatles ist King Crimson ein absolutes Vorbild. Fundament seiner Szene, Architekt unzähliger persönlicher Musikgeschmäcker, historischer Name, Baby seines Diktators Robert Fripp (usf). (Reicht.) Die hier versammelten 10 Bands/Songs sind chronologisch sortiert, fast zumindest, stilistisch ebenso, gut gemacht die Perlenaufreihung. Die eine dieser Bands heißt "Créme", und die sich lebendig tummelnden Cover sind Sahnefutter (und sicher macht Musiksahne nicht fett!).
Final Virus um Basskönig Peter Sonntag eröffnen mit einer schön knackharten Version von "Epitaph", kaum abgewandelt, weniger komplex, schön gespielt. Pentikel folgen mit "Red" im originalen Arrangement. Erster Witz: The Magnificent Brotherhood: das Quartett gibt "I Talk To The Wind" ein ganz neues Kleid, der Song rockt im 60s Psychedelic Sound, geht ab wie Sau (mit Verlaub) und ist einfach grandios!
Fantasyy Factoryy (die andere Band neben Lynyrd Skynyrd mit 4 y's) halten sich wieder stark am Original, lassen es ein wenig lockerer und zügelloser angehen, Alan Teppers Version hat Rasanz, wirkt punkiger und rauer, weniger exakt und hart, mit Cello im Gepäck kraftvoll arrangiert und saftig gespielt.
"Starless" ist eine sklavisch am Original festgemachte Version, und so wie die der anderen hier versammelten Bands nicht so hart und rasant, nicht so messerscharf und punktgenau wie das Original, nicht so avantgardistisch und aggressiv, aber von großer Intensität, keine Frage. Mit "One More Red Nightmare" endet die klassische Phase des Originals. Créme rocken rau und deftig, mit punkiger Attitüde und verschwitztem Klang, düsterer Note und einiger klanglicher Breiigkeit, gutes Stück Arbeit, gut getan, weit entfernt jedoch von der ja, unvergleichlichen Qualität des Originals.
"The Talking Drum" gehört zwar noch zum "alten Eisen", findet mit Ornah-Mental jedoch zu einer völlig neuen Dimension aus ambienten Sounds, Beats und Loops, darüber der kratzigen Geigenarbeit von Rainer Korf, die noch die nächste Ähnlichkeit zu KC, zu David Cross hat.
Der rhythmische Fluss macht den Song mantragleich, wie ein Gebet, zur verinnerlichten Hingabe, trancegleicher Ekstase. Fabelhafte Version!
Markus Reuter und Pat Mastelotto treiben "Industry" über 10 Minuten. Der jüngste KC-Trommler und der Touch Guitarist entwerfen elektronische Avantgarde in tiefer, dunkler Harmonie. Das erste Mal habe ich hier den Eindruck, dass Musikkünstler aus dem KC-Original eine persönliche, fast unabhängige Variante entwickelt haben, deren Verlauf eigenständige, irrsinnige Lebendigkeit und Leidenschaft hat. Belladonna machen aus "Heartbeat" eine songorientierte Ballade aus Schlichtheit und Pop, die jeder Intensität entsagt, in ihrem instrumentalen Aufbau dennoch einige interessante Einbauten findet. Und zuletzt gerät "Matte Kudasai" zur sphärischen Lyrik, realitätsverloren fließt die epische Nummer sanft dahin. Schöngeistig, entspannt, nett.
Stets ist der Unterschied zum Original sehr deutlich. Aus verschiedenen Aspekten ist die CD äußerst interessant: die handwerkliche Qualität der die Coversongs spielenden Bands im Vergleich zur originalen Band, die Intensität und Punktgenauigkeit der Einspielung, die der Version zugrunde liegende Idee im Vergleich zum Original, die Deutlichkeit der neu strukturierten Arrangements, der Songaufbau und sein instrumentaler Einbau, technische Genauigkeit und interpretatorische Möglichkeit - alle Bands sind sehr gut und versagen doch im Vergleich zum Original, was keine Überraschung ist, sonst wären sie das Original und nicht der inspirierte Nachfolger. King Crimson bleiben unerreicht, dennoch: testet diese guten Stücke und zieht historische Parallelen. Große Kunst ist in jeder Version zu hören, und jede Version hat ihre eigene Lebendigkeit. Absoluter, in meinen Augen hervorstechender Höhepunkt trotz genauer Orientierung am Original: The Great Deceivers mit "Starless". (Und doch leuchtet King Crimsons unübertreffliche Einspielung locker über diese Version hinaus.) (Wie über jede Coverversion dieses Planeten.)

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VM



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