King Crimson "The Night Watch" (Discipline Global Mobile 2006)

Die seit langem ausverkaufte 2CD "The Night Watch" legt Robert Fripp auf seinem Label DGM wegen großer Nachfrage erneut auf.
Ausgestattet wie bereits üblich auf neuen King Crimson Rereleases beziehungsweise Club Issues mit viel gedanklichem und informativem Text von Robert Fripp himself rund um die damalige Bandphase und das Veröffentlichen von Konzertaufnahmen im Allgemeinen, umfassenden technischen Daten und allerlei anekdotenhaften Notizen, was alles zusammen stets sehr ernst gehalten ist. Ausnahmen bestätigen die Regel. So schreibt Robert Fripp über das Publikum: "The Audience were generally drugged. (In Holland, always.) But then, so were many of the musicians of the time, also managers, also record company executives." Ist als Retrospektive eher witzig gemeint, was im folgenden, etwas längeren Abschnitt deutlich wird.
Das Konzert: wenn man in den ersten Tracks noch denken kann, alles geht recht brav zu, die Songs werden akademisch gespielt, das Publikum applaudiert artig und diszipliniert, usf., wird das mit dem extremem "Fracture" heftigst gekontert. Das Stück fängt mild an, die Gitarre gibt die abstrakte Struktur wieder, die Band fällt ein, führt das Thema weiter, die Energie bricht ein, die Gitarre übernimmt erneut und spielt das lange, grandiose Motiv, das sich über etliche Minuten in ungeahnte Mordsintensität steigert! King Crimson boten ein intimes Konzert. David Cross (vi), Robert Fripp (g, mel), John Wetton (b, voc) und Bill Bruford (dr) waren locker und frei gespielt und gelangten mit verspielten Ansätzen weit von den eigentlichen Songstrukturen weg und brachen mit Verve und Elan grandios tief in Stille und Lärm ein.
Das typische King Crimson Konzert hat es nie gegeben, dazu war die Spielweise zu variabel und die Improvisationslust zu ausgeprägt (zudem wechselte die Band ständig ihren Stil), aber die typische King Crimson Intensität hat es gegeben, und die ist hier voll ausgeprägt. Viele heftig kreischende Gitarrenpassagen, unruhige, nervöse Jazzrock-Läufe und ebenso viele fast schon ambiente Momente bestimmten das Konzert am 23. November 1973 im Amsterdamer Concertgebouw. Die liedhaften kurzen Songs "Lament", "Book Of Saturday" und "The Night Watch" sind zarte Melodiepunkte im ansonsten aufgewühlten, düsteren und schrägen, großteils improvisierten Avantgarde Rock. Von der extremen Heftigkeit früherer Konzerte hatte sich die Band hier weitgehend gelöst, zeigte sich in den extremen Höhepunkten hart und wild, gab aber viel mehr seine Neigung zu verschlungenen, zarten, symphonischen und symbolhaften Sounds wieder. Gitarre, Geige und Mellotron improvisieren ausgelassen und verspielt ("Improv: Trio"), das geht sehr leise und harmonisch zu, auch im folgenden, geradezu versponnenen "Exiles" bleibt die Band trotz einiger schräger Extravaganzen lyrisch und gibt sich dem weiten Schönklang des Mellotrons schwelgerisch hin.
Die intensive und nahtlose Verbindung zwischen Band und Publikum ist ausgezeichnet zu hören, das Auditorium lauscht gebannt und die Band antwortet mit großer Intensität. Als Zugabe spielt das Quartett eine über 9-minütige Version des Frippschen Gassenhauers "21st Century Schizoid Man" schwer heavy, jazzig und im improvisativen Mittelteil hektisch, nervös und grandios abstrakt. Eine Mordsversion!
Nach 82 Minuten sind die 12 Stücke auf den beiden CDs abgelaufen. Zum Glück, so muss gesagt werden, hat Robert Fripp (wie Zappa) immer alles mitgeschnitten und heute ein riesiges Archiv, aus dem er stets neue Häppchen präsentiert. Ausgesprochen angenehm, dass diese Produktion jetzt wieder aufgelegt wird. Neben den etlichen anderen 2-, 3- und 4-CD-Boxen macht sich "The Night Watch" sehr gut. DGM hat just bereits weitere Veröffentlichungen von Konzerten aus den Jahren 1973 und 1982 angekündigt.

dgmlive.com
VM



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