Kaipa "In The Wake Of Evolution" (InsideOut Music, VÖ: 12.03.2010)

Hans Lundin hat die Kaipa-Songschreibemaschine erfunden. Die Band war in der Weiterbildung, handwerklich waren sie, keine Frage, diese Namen!, und inspirativ stets voll ausgebildet. Dann kam die Songschreibemaschine. Alle bekamen einen Chip in den Hinterkopf gepflanzt, mit Draht zu den grauen Zellen, und Andockstelle für die Songschreibemaschine. Hans Lundin gab ein paar Parameter ein: z.B. Longtrack, Instrumentalfinessen, raffinierte Gesangslinien, hart/soft, Breaks, symphonischer Bombast, radikale Komplexe, Folkprozente etc., was alles so notwendig ist, sowie ein paar melodische Eckdaten - die Maschine wird angeschaltet, indem man sie mit voller Kraft mit den Füßen tritt - alle gingen mit ihrem Chip online, Hirne und Songschreibemaschine vereinten sich, und letztere begann zu arbeiten. Nach einer Viertelstunde war der erste Song fertig: über 10 Minuten lang, alles drin und dran, was schön und sympathisch ist, die Band loggte sich aus, setzte sich an die Instrumente und rasselte mit aller erdenklichen Energie und Spiellust den Track runter: fertig! Nächster Song - - -
Es gibt ein Problem mit der Maschine. Jeder Song muss einzeln hergestellt werden. Hans Lundin und wer noch darf, gibt die Eckdaten und Parameter ein, die Band schnallt sich an, die Maschine bekommt ihren Arbeitstritt, 15 Minuten, Song fertig.

Ungerechtigkeit kennt keine Gnade. Was soll das? Songschreibemaschine? Was ist mit Kreativität? Was mit künstlerischer Inspiration, aus der heraus jeder Song wie ein gefährliches Alien geklaubt werden will?
Kaipa, und als deren Kopf Hans Lundin machen vieles gut, es gibt nette Sachen zu hören, wie zu erwarten war. Und gewiss, die Band ist heute in vielem besser als sie es in der ‚gaZ' war. Raffinierte Arrangements, schöngeistige Instrumentalarbeit, hervorragend gespielte Attacken, flüssiges, elegantes Spiel, perfekt aufeinander abgestimmte Musiker, die genau wissen, was zu tun ist und alle Energie ins Feld führen, dass jede Tausendstel zum puren Genuss wird - es ist wie mit Dire Straits in den 80ern, die Perfektion macht die tollen Songs aalglatt, das nichts hängen bleibt, was nicht schon hängen geblieben ist, vom bisherigen Œuvre der Band. Alle spielen perfekt, der Klang ist grandezza, allez izt gutt!
Es gibt Folkflöte und Rockvioline, und alles, was dem Fan die Beine schlottern und die Sinne schwinden lässt. Ist so gedacht und so gemacht.
Und doch: allein was Aleena Gibson so singt, geht schwer in Richtung Schlager (wie es Roine Stolt auf "Back into the world of Adventures" fast schon mal brachte), zu schön und nett ist das alles, zu quellwasserrein, da ist nix Rock, keine abgründige Energie, keine aus dem Urschlamm herausgepresste Wucht, sondern elegante Designerarbeit, wie ZZ-Top mit ihren UFO-Auto-Quatsch-Alben, die allesamt nur Schlager sind, stilistisch wie Dire Straits natürlich ganz andere Baustellen, aber aus dem gleichen Perfektionsgeist gemacht.
Irgendwie tut es mit um die Truppe und ihre illustre Handwerkskunst leid, um einen jeden Involvierten, die haben so schwer gute Namen und sie tun gut, wenn auch nicht drahtig und brachial, was dem Chef angekreidet werden muss. Also die Namen: neben Chef Hans Lundin sind (wieder einmal) Morgan Ågren, Per Nilsson, Jonas Reingold, Patrik Lundström und Aleena Gibson dabei, und die ganz speziellen Gäste Fredrik Lindqvist und Elin Rubinsztein.
Acht Songs sind auf dem Album, drei über 10 Minuten, davon einer über 17, zwei weitere schaffen es nicht ganz, ‚echte' Longtracks zu sein. Solange Rituals Patrik Lundström singt, ist nix ganz schlimm, Stimme gut, fast alles gut. Wenn auch hier gebleicht und geölt wurde. Doch sobald Aleena ans Mikro tritt, verliert sich jeder ‚Rock'-Gedanke, der Schmeichelregler war definitiv zu weit aufgedreht. "In The Wake Of Evolution" kann gut angehört werden, ohne in die tiefste Prog-Krise zu stürzen, schicke Sachen allüberall, es ist etwa so wie bei der ‚Herr der Ringe' - Filmtrilogie, sobald man die Stundenfress-Orgie zweimal gesehen hat, ist der Sättigungsfaktor randvoll und die hart arbeitende Verdauungssäure brodelt, dass schlicht Auszeit angesagt ist, um nach dem Überfutter nicht die Gesundheit zu schädigen.

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VM



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