Julian Julien "Terre II" (Eigenproduktion 2015)


Der Pariser Komponist Julian Julien veröffentlicht mit "Terre II" sein bereits viertes Album. Eingespielt in illustrer Runde mit Hélène Argo (chant), Guillaume Billaux (guitare), Siegfried Canto (flûte traversière), Médéric Collignon (cornet et voix), Rémi Dumoulin (clarinette basse), Michaël Havard (saxophone soprano, ténor et baryton), Julian Julien (percussions) und Adeline Lecce (violoncelle) sind neun überwiegend instrumentale Tracks experimenteller, sphärisch lyrischer Art entstanden, die Jazz, Fusion, Electronic, Avantgarde und Ambient in sich vereinen, folkloristische Muster integrieren, die nicht genau einer Folklore zugeordnet werden können, nachdenklicher bis tief melancholischer Atmosphäre sind und ungemein tief wirken. Die einzelnen Stücke sind relativ kurz gehalten. In manchem Fall nicht einmal zwei Minuten dauernd, vermittelt die Zeit der Einzeltracks keine besondere Aussage über die Qualität der Komposition. Das Album "Terre II" ist als geschlossenes Ganzes über seine 44:59 Minuten insgesamt wirkungsvoll und ausdrucksstark.
Julian Julien, der die Kompositionen schrieb und das Konzept schuf, arbeitete mit dem Produzenten Siegfried Canto, hier auch selbst als Musiker aktiv, und dem Soundingenieur Guillaume Billaux zusammen, die sein Konzept kreativ begleiteten und aufzeichneten. Der Klang ist ein Erlebnis. Die lautmalerischen Stimmen, die glasklar wahrzunehmenden Instrumente, hier der Hall, dort die Stille, die tiefe, empathisch eingefangene Klangatmosphäre des Werkes in seinen Einzelfacetten und als Gesamtbild - hier ist erstklassige Arbeit geleistet worden. Vermutlich kann "Terre II" als Klangreferenz eingesetzt werden. Zum einen eignet sich die abstrakte, tief lyrische und ruhige Musik wegen ihrer stilistischen Weltentrücktheit und künstlerisch hochqualitativen Präsenz, zum anderen die Qualität der Klangaufzeichnung. Hört euch die Triangel an!
So angenehm und einnehmend das Album ist - "Terre II" ist alles andere als Kaufhausunterhaltungsmusik. Sehr abstrakt, oftmals in harsche und fast freejazzartige Passagen verfallend, wenn zu Beispiel die Trompete in "Iris IV" radikale und aufregend expressive Läufe intoniert, sind kraftvolle fusioneske Ansätze und ambient-progressive Extravaganzen überwiegendes Thema aller Kompositionen. Hin und wieder, wenn ein Motiv etwas leichter wirkt, macht sich Filmmusik-Charakter auf, wie er dem Maestro Ennio Morricone gut gestanden hätte. Ein besonderes Gespür für volumige, abgrundtiefe Basstöne und -harmonien macht den wohligen Eindruck satt und rund.
"Terre II" wirkt in seiner epischen Ruhe skandinavisch. Die ausgefallene Art der Komposition mit starken Ecken und Kanten trifft diese Szene recht genau, die skandinavische Rock-, Avantgarde- und Jazz-Szene ist gespickt mit Bands, die in ähnlicher Art arbeiten.
Doch Julian Julien ist weder ein Komponist und Musiker, der sich einer Musiksprache widmet, die schon bereits vorhanden und etabliert ist, noch wird er sich gedacht haben, ‚skandinavische' Musik zu machen. Düstere, romantisch lyrische und expressiv avantgardistische Musik kam schon immer aus der Mitte Europas, in der Klassik, im Jazz, in der progressiven Rockmusik. Zudem klingt "Terre II" nicht wie Musik, die so bereits vorhanden ist, sondern eigen, intuitiv beseelt und inspiriert, sehr intensiv, vertieft und zurückgenommen, nicht darauf aus, durch überschießende Motive/Konstruktion zu punkten, sondern seine Seele, sein Leben aus sich selbst erkennen zu lassen.
Ich kann die Auseinandersetzung mit "Terre II" nur unbedingt empfehlen. Gewiss werden, zumindest teilweise, ungeübte Hörer abstrakter Musik diesen Klängen ebenso erlegen sein können wie Genre-Spezialisten.

1. Prélude - 2:55
2. Terre II - 3:31
3. Iris I - 1:38
4. Ailleurs - 4:34
10. Iris V - 3:07
11. Non-sens - 7:56
12. Iris VI - 1:14
13. M. John Barry - 4:41
5. Iris II - 1:55
6. Iris III - 2:48
7. Une attente - 4:18
8. Iris IV - 3:06
9. Doudou - 3:22

julianjulien.com
VM



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