Juan García-Herreros "Normas" (Inner Circle Music, November 2013)


Ständig werden gute Alben veröffentlicht. Musiker, Bands & Labels kämpfen einen harten Kampf um Aufmerksamkeit und Erfolg im weltweit übervollen Katalog aller musikalischen Genres und unterschiedlichen Stilarten. Überwiegend gewinnt dabei das, was als Mainstream gut beworben und in den großen Medien präsent ist. Die Welt wird durch Werbemedien immer lauter und das Nachsehen haben die Musiker und Bands, hat die Musik, die kein Budget für breite Präsentation zur Verfügung haben, keine Werbeagentur oder gängige Werbekanäle nutzen können. Ein Album wie "Normas" des kolumbianischen Bassisten Juan García-Herreros, auch Snow Owl genannt, wird in keiner Fernsehwerbung laufen, in Jazzzeitungen vielleicht einen kleinen Text zwischen anderen bekommen und nach ein paar Wochen mit der nächsten übervollen bunten Ausgabe ins Archiv des Bewusstseins wandern. Gut, dass es spezialisierte Mailorder-Kanäle gibt, Independent Radios, Fanzines und abseits des Mainstream-Mahlstroms aktive Gazetten, online oder als Printmedium, die gezielt feine echte Musikarbeiten ansprechen - und das will ich hier und jetzt tun.
"Normas" erinnert mich an mehreren Stellen, um gleich einen Vergleich vorzugeben, an das 1999er Album "Theory of Forms" des Schlagzeugers Neil Sadler (dem meines Wissens nach kein weiteres Werk folgte, leider!) - da sind diese stakkativ aufgebauten Rhythmusverschachtelungen, instrumentalen Mathematik-Schemata, vital und emotional exakt gesetzten Bandinterplays, die diesen Vergleich heranziehen - wenn Snow Owl & Band aus avantgardistischem Jazz zu Jazzrock tendieren, und das passiert ständig in ausladenden, äußerst fein gespielten und kraftvoll und zum Heulen schönen Instrumentalkompositionen - und Komposition ist das Hauptaugenmerk des großartigen Werkes - dann fegt stürmisch komplexes Spiel zarte Elegie und klassische Epik hinweg.
Die Handwerkskunst aller Beteiligten, technisches, emotionales, vitales instrumentales Spiel, ist enorm ausgeprägt. Deutlich zu hören, dass hier Meister ihres Faches beteiligt sind, wo Mensch und Instrument verwandter und intimer sind als in der großen Menge vieler anderer Projekte. Die Einspielung ist energisch und kraftvoll, hat Druck und Volumen, kann sich sensibel zurücknehmen oder forsch voranpreschen. Die Band schwingt auf bewegt hohem Level, während eines der Soloinstrumente seine Zeit hat. Der Klang der Aufnahmen ist hervorragend, klar, breit aufgefächert, mit lichten Höhen und sattem Bass, sehr ausgewogen und ansprechend. Sehr gute Musiker trafen in einem sehr gut ausgestatteten Studio auf einen inspirierten, mitdenkenden Tontechniker: den Chef Snow Owl selbst.
An der Einspielung waren beteiligt: Juan Garcia-Herreros aka Snow Owl (Electric Contrabass Guitar), Jonathan Powell (tr), Hector Martignon (p), Conrad Schrenk (e-g), Klaus Dickbauer (b-cl), Abdoulaye Dembele (perc), Djakali Kone (perc), Mamadou Diabate Balafon (perc), Roberto Quintero (perc), Alexander Wladigeroff (tr, fl-h), Daniel Mesquita (12-String Guitar), Stoyan Yankoulov (dr) und Jeremy Powell (ts).
Wenn Neil Sadler 1999 (mit Mike Keneally an der Gitarre) rockbetonter spielte, so sind die rassigen Songs Juan García-Herreros' jazzorientierter (indes gleichermaßen mit starken Rockakzenten ausgebildet und nicht ein Gran weniger energisch) mit geringer Neigung zu mittel-/südamerikanischen Folklore-Tendenzen zu Beginn des ersten Stückes.
Das erste Aufhorchen machen die Kompositionen selbst, sogleich darauf die grandiose Einspielung. Ausgedehnte Sololäufe an Bass, Piano, Saxophon; die Urwald-Sequenz zu Beginn von "Huellas" - alles ist stark und mitreißend gespielt und exakt aufgenommen; die Bandinterplays, wenn aus der thematischen Basis, die schon kernig und kraftvoll ist, diese energischen Parts laufen, in der alle Beteiligten gut konzentriert an ihren Notenblättern kleben, so komplex und aufwendig, zudem experimentierfreudig und dynamisch sind die Songs in Basis und Ausbau. Neben kraftvollem Jazzrock wird hin und wieder ein Hang zu (altem) ECM-Sound deutlich, artverwandt waren damals Brüninghaus, Stockhausen & Studer, Eberhard Weber oder Terje Rypdal (Odyssee) - auf ihre ganz eigene Weise. Aber der ECM-Vergleich hinkt, weil Snow Owl und Band nicht orientiert und interessiert sind, dezente, sanftmütige Songs zu zelebrieren, die dieses zerfließende Schmachten präsentieren, sondern Spieldynamik, saftigen Jazzrock, kühl kantigen Jazz und zuerst handwerklich erlesene Kunst.
Und die ist einfach umwerfend, muss meines Erachtens nach unbedingt auf die Bühne der Zappanale und des Jazzfestivals Moers, nach Berlin, Wien und zur Jazz Jamboree wie allen anderen modernen Jazzfestivals, die nicht auf Pop setzen, sondern breitgefächerte, illustre Angebote präsentieren und die großartigen Künstler dieser Zeit auf dem Programm haben.
Jazztrunkene Charly-Freaks und Jazz-Prog-Süchtige werden ihre Freude und Erfüllung haben wie gewiss die Spezialisten des ausgefallenen, kernigen Avantgarde Jazz (abseits fader Mainstream Pfade).
Ich würde mich sehr freuen, wenn es in diesem Jahr ein weiteres, ähnlich geniales Album wie "Normas" gäbe (und die Anzeichen sind gut dafür!). Doch die Nummer Eins steht fest: Juan García-Herreros aka Snowl Owl & Band mit "Normas".
Unbedingte Empfehlung!!!

youtu.be/aWLoE7uHNV4
facebook.com/Bassnowowl?sk=wall
the-snow-owl.com
snow-owl.bandcamp.com
VM





Zurück